Spätsommer in Mainz
Christoph,  Fitness,  Gesellschaft,  Gesundheit

(Alters)Vorsorge

Jetzt auch P., meine Frisörin. Seit 14 Jahren, seit ich in Mainz lebe, gehe ich immer in denselben Frisörladen – keiner von diesen Läden mit Kunstnamen wie „Vier Haareszeiten“, „Der Goldene Schnitt“, „Haarbracadabra“ oder gar „Hair-reinspaziert“ oder „Chaarisma“; einfach nur ein Frisörladen. Haare schneiden bitte, alle zwei bis drei Monate.

Niemand kommt mir körperlich näher als P., meine Frisörin und ich war deshalb schon ein bisschen irritiert, dass ich sie nicht mehr gesehen habe, seit sie sich im vergangenen Sommer in den Urlaub verabschiedet hat – Mallorca, es ist immer Mallorca, manchmal Teneriffa. P. spricht in braidem rhoihässisch Dialekt – am liebsten ununterbrochen; lange blonde Haare, kein Gramm Fett im fitness-trainierten Körper, blaue Augen, aus denen der Schalk blitzt, Haus im Vorort, zweite Ehe, keine Kinder, „dafür einen Hund … und mein Mann ist ja eigentlich ein erwachsenes Kind“, seit 24 Jahren Inhaberin ihres Frisörsalons mit drei Angestellten und wechselnden Azubis. Ein Herz von einer Frau.

„Was soll isch mache?“

Erst wurde eine Geschwulst im Gehirn diagnostiziert – „Geschwür, Tumor oder so, eins gutartig, eins bösartig“ – dann Krebs. Das erzählt sie mir, während sie mein Haupthaar kürzt, obwohl ihr die Bewegung oben auf meinem Kopf schwer fällt, „die Lümfe machen net mid, abä was soll isch mache?“. Die Kundenliste ist voll, die Mitarbeiterinnen können auch nicht immer, haben auch Familie und den ganzen Tag zuhause rumsitzen ist ohnehin Gift für P..

Ich denke an meinen alten Schulfreund S., der im vergangenen Jahr gestorben ist, an meine Freundin H., die knapp einen Herzinfarkt überlebt hat, an meinen Ruderfreund F., dessen Kollege gerade gestorben ist. Und jetzt P., meine Frisörin. Sie sagt, es sei jetzt „alles soweit in Oddnung“, die gutartige Geschwulst sei entfernt, die bösartige, an die käme man nicht ran, aber die hätte sich auch seit einem Jahr nicht weiter entwickelt, und der Krebs sei auch gestoppt.

Das Schlimmste …

Und P. sagt, vor der OP am Kopf habe ihr der Arzt gesagt, es sei gut möglich, dass nach dem Eingriff entweder ihr Augenlicht oder ihre Sprechfähigkeit dauerhaft gestört sei. „Da habe isch gesagt Liebä des Augelischt. Wenn ich nischt mehr spräche könnt, misch nischt mehr mitteile könnt, des wär des Schlimmste!“

Das Schlimmste. Für mich das Schlimmste war eigentlich immer die Vorstellung, dass meine Altersvorsorge im Alter nicht reicht – weil ich immer davon ausgehe, noch 25 Jahre vor mir zu haben … „Carpe Diem!“, sagt mein Spiegelbild im Frisörstuhl, nutze den Tag!

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