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Die verlorenen Seelen von Los Acapulcos

Angekommen. Der Zauber der Insel hält mich in Bann, ich beginne, in der flirrenden Hitze Phantasie und Wirklichkeit zu vermischen.

Wir waren wandern. „Nach El Cedro“, freuten sich Britta und P.. Eine „leichte Wanderung auf relativ ebenem Forstweg“ flötet der Wanderführer. „Urwald. Schatten. Kühl.“, ergänzte Reinhard. Kurze Zeit später standen wir tief in irgendeinem Wald irgendwo auf der Insel. Kein Laut ist zu hören. Die Temperatur ist von 36 Grad bei uns auf 17 Grad hier gefallen. Wir tragen kurze Hosen, Polos, Spaghettiträger. Im dichten Gestrüpp vermuten wir Velociraptoren oder Hobbits.

Unterwegs schon waren mir per Flatterband gesperrte Wanderwege aufgefallen. „Wahrscheinlich Brandnachwirkungen“, mutmaßte Britta. „Vielleicht irgendwas wegen Gift?“, überlegte Reinhard. „Nein, Gift auf gar keinen Fall!“, wehrte Britta ab.

Schließlich stieg sie aus und übersetzte eine der ausgehängten Amtlichen Bekanntmachungen. Der Sturm der vergangenen Nacht – Kalimar (mal wieder) – hatte die Gefahr des Holzbruchs wachsen lassen. Bevor Touristen also regressverdächtig Bäume auf den Kopf fallen können, sichern sich die Behörden ab. Und sperren. Ich sollte wirklich mal spanisch lernen.

„Spürt Ihr schon den hohen Sauerstoffgehalt?“, rief Reinhard, kaum dass er unserem PS-schwachen Miet-Polo irgendwo in diesem Wald entstiegen war. Links Wald, rechts Wald, dazwischen ein Weg, aufwärts, sechs Kilometer lang. Ich hatte keine Ahnung, wo es hingehen wird, irgendwie „rund um El Cedro“. Britta freute sich auf einen Platz, an dem sie „die Füße ins Wasser baumeln“ lassen kann, P. auf eine Ermita, Reinhard auf den Weg als solchen, der ja das eigentliche Ziel des Wanderers ist und so kamen wir nach Los Acevinos – was ich mir nicht merken konnte und beständig Los Acapulcos nannte. Ein Weiler. Der sich im Wanderführer (Fassung von 2005) ankündigt über ein „im dichten Wald 5 m rechts unterhalb der Piste liegendes, im lichtschwachen Waldesdämmern nicht sehr auffälliges betoniertes Wasserhaus“. Fröhlich berichtete Reinhard, er und Britta seien aus diesem Weiler noch nie herausgekommen, ohne sich im Weg zu irren und sich festzulaufen.

Es ist totenstill in dem Weiler. Keine Menschenseele ist auf der Straße, die einmal rund um die Siedlung führt und mit weißer Fahrbahnmarkierungsfarbe abgesichert ist. Nirgends ein Platz, an dem man Füße ins Wasser baumeln lassen könnte, die Ermita ist neu, klein und nicht besonders. Ich zähle insgesamt drei Fahrzeuge, zwei ausgemergelte, sich seit unserem Eintreffen über hunderte Meter gegenseitig ankläffende Köter, einen Einwohner. Auch dieses Mal verlieren wir den Weg. Und uns.

Die Temperatur ist auf 47 Grad gestiegen. Wir werden beobachtet aus leeren Fensterhöhlen. Irgendwo quietscht ein Windrad. Ich meine, eine Mundharmonika zu hören. Auf einer Bank sitzen drei Wesen, wahrscheinlich Männer – sicher ist das nicht. Ihre Gesichter sind unter der breiten Hutkrempe schlecht zu erkennen. Sie lupfen ihre Hüte und grüßen schief mit fauligen Zähnen. Sie sehen aus wie Brüder. Von hinten nähern sich zwei Frauen in schwarzen Kleidern aus grobem Tuch. Sie ähneln den drei Männern. Es sind Geschwister, Vettern, Cousinen, Tanten, Mütter, Onkel, Großväter, Enkel. Eine Gesellschaft, gezüchtet in Inzucht umzingelt uns, grinst schief aus fauligem Mund und wetzt die Messer für einen mehrtägigen Festtagsschmaus. Im Wasserhaus im lichtschwachen Waldesdämmern geben sie uns den Rest.

Nie hat jemand den Weg raus aus Los Acapulcos beschrieben. Weil nie jemand heraus kam aus Los Acapulcos. You can checkout any time you like but You can never leave!

Zwei Aufstiege und einen Steilabstieg später saßen wir in der Bar La Vista in El Cedro, froren leicht in 17-Grad kühler Passatwolke, aßen ein entspannendes Kressesüppchen und hatten einen herrlichen Blick runter auf die Wellen von Hermigua.
Ich habe Muskelkater.

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