Nachbildung einer Oscar-Statuette
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Leo bekommt den Oscar (wieder) nicht

Ja, der Satz ist abgegriffen, aber passt hier halt so gut: „Stell Dir vor, es ist Oscar – und keiner geht hin!“ Den einen ist er nicht schwarz, den anderen nicht gender genug. Wieder andere lehnen den ganzen Kommerz sowieso ab. Eins aber ist sicher: Leonardo DiCaprio kommt auf jeden Fall. Der will jetzt endlich diesen Preis haben. Sonst kommt er womöglich künftig auch nicht mehr.

DiCaprio hatte ein paar Mal Pech bei den Oscars. Viermal schon war er nominiert. Viermal wurde ein anderer Name aus dem Kuvert gezogen und wenigstens, als 1994 Tommy Lee Jones (Auf der Flucht) statt DiCaprio als Best supporting Actor auf die Bühne gerufen wurde, war das einigermaßen überraschend. Jetzt also die fünfte Nominierung (natürlich ist er sechs Mal nominiert worden; einmal als Co-Produzent bei The Wolf of Wall Street) als Schauspieler. Mit einem Film, der zwölf Nominierungen auf sich vereint und mit als Favorit gefeiert wird. Es hat solche Überflieger in der Vergangenheit ja immer wieder gegeben – Ben Hur und Titanic räumten dann fast alle Oscars ab, Spielbergs Die Farbe Lila ging leer aus – die 6.000 Acadamy-Mitglieder können grausam sein.

Leos Passionsspiel mit Chancen in den Nebenkategorien

DiCaprios Wildnis-Western scheinen sie zu lieben. So stellt sich der Smartphone bewehrte Nine-to-Five-Ritter auf Hollywoods Hügeln die Wildnis vor: kalt, grausam, mit mörderischen Grizzlys – und erlesen fotografiert. Wenn Kameramann Emmanuel Lubetzki also einen Oscar abholen würde, wäre das gerechtfertigt und ein schöner Zug der Acadamy: Nach Gravity und Birdman wäre das Lubetzkis dritter Oscar in Folge und er damit der erste Filmkünstler, dem der Hattrick gelingt. Für den Best-Picture-Oscar reicht The Revenant – Der Rückkehrer nicht. Wahrscheinlich ist, dass Leos Passionsspiel in den Nebenkategorien abräumt – also Oscars erhält für die kunstvoll zerfledderten Kostüme, die authentisch verrostete Ausstattung, für die Maskenbildner, die DiCaprio in einen blutigen Klumpen Fleisch verwandelt haben.
Nominiert sind in diesem Oscar-Jahrgang die, die immer nominiert werden – nur Meryl Streep fehlt. Steven Spielberg zeigt mit Best-Picture-Nominee Bridge of Spies (sechs Nominierungen) seine Sonderklasse – jede Kamerabewegung durchdacht, jeder Schnitt präzise gesetzt. Jennifer Lawrence, ohne die Joy – Alles Außer Gewöhnlich (eine Nominierung) in sich zusammenfiele, ist zum vierten Mal nominiert, Christian Bale zum dritten, Cate Blanchett zum sechsten, Kate Winslet zum siebten Mal.

Zwei spannende Frauen

Best-Picture-Nominee Mad Max: Fury Road (zehn Nominierungen) ist ein unterhaltsames Action-Abenteuer und wird sich eines der interessanten Duelle des Abends liefern – mit „The Revenant“ um die Nebenkategorien Maske, Kostüm, Ausstattung, visuelle Effekte und Sound.
Die großen Duelle versprechen in diesem Jahr die Neulinge: Saoirse Ronan zum Beispiel, nach Abbitte zum zweiten Mal nominiert, die in Best-Picture-Nominee Brooklyn (drei Nominierungen) hinreißend eine irische Auswanderin spielt, die sich zwischen zwei Männern entscheiden muss. Wenn Ronan den Oscar nicht bekommt, dann wohl deshalb, weil ihn Brie Larson abholt, die in Best-Picture-Nominee Room (vier Nominierungen) nuancenreich eine verzweifelte Mutter spielt, der nach sieben Jahren mit ihrem kleinen Sohn die Flucht aus dem titelgebenden Raum gelingt, in den sie ein Entführer gesteckt hat. Warum der neunjährige Jacob Tremblay, der diesen Sohn spielt, keine Oscar-Nominierung erhalten hat, bleibt eines der Rätsel dieses Oscar-Jahrgangs – eine Nominierung wenigstens hat er verdient.

Drei starke und fünf Zähl-Kandidaten

Die Independent-Produktion Room steht auch im Zentrum des wichtigsten Oscars, der für den „Besten Film“. Mit einfachsten Mitteln erzählt er eine Geschichte über die Rückkehr in ein Leben, das auf die Rückkehrer nicht vorbereitet ist. Der Film wird von Bild zu Bild weiter – aus der Enge des Raums hinaus in die Welt, in ein komplexes Familiengeflecht aus Liebe, Schuld und Vorwürfen. Neben „Room“ sollte sich allenfalls noch die wort- und schnittgewaltige Finanzsatire The Big Short auf diesen Best-Picture-Oscar vorbereiten, vielleicht auch das Enthüllungsdrama Spotlight über Journalisten, die einen Missbrauchsskandal der katholischen Kirche – vor allem aber das Schweigekartell drumherum aufdecken. Die anderen fünf Filme sind ehrbare und achtbare Zählkandidaten. So einer ist dann auch Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio.

Der Oscar

DiCaprio betonte auf PR-Tournee für sein Adventure-Movie sein Engagement für die Umwelt. Der Oscar ist aber kein Umweltpreis. Es sei der „härteste Dreh“ seines Lebens gewesen, sagt DiCaprio jetzt häufiger – er habe rohe Bisonleber gegessen, stundenlang im Schnee gelegen und sei in eiskalte Flüsse gestiegen. Der Oscar ist aber auch kein Preis für einen Ironman-Wettkampf. Der Oscar zeichnet künstlerische Qualität aus. Und als Hauptdarsteller beeindruckte Matt Damon als allein gelassener Marsianer (sieben Nominierungen) mit packender Präsenz und Michael Fassbender liefert als „Steve Jobs“ (zwei Nominierungen) eine präzise Charakterzeichnung mit psychologischer Tiefe. DiCaprio hat wieder Pech: Sein Trapper ist keine Oscar-Rolle. Diese Rolle muss jeder Schauspielschüler im zweiten Studienjahr spielen können. Zwischen den unfreundlichen Elementen der Natur und der dem im kalten Matsch frierenden Star eng auf den Pelz rückenden Kamera kann man als talentierter Schauspieler entweder solide Arbeit – sprich: Überlebenskampf spielen – abliefern, oder man sollte vielleicht doch noch mal über den Charme des Kellnerberufs nachdenken.

Wirtschaftsfaktor „Oscar“ in weißen Händen

Allerdings: Arnon Milchan hat „The Revenant“ produziert. Er hat nicht nur ein Händchen für gute Kinostoffe, er weiß auch, wie man die Mitglieder der Oscar-Acadamy für die eigenen Filme gewogen macht. Der Oscar ist nämlich nicht nur eine Auszeichnung für künstlerische Leistungen. Er ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Das macht auch die #OscarsSoWhite-Diskussion um die nicht nominierten Filme schwarzer Künstler so pikant. Und so steht die spannendste Frage in diesem Jahr gleich zu Beginn der Oscar-Show: Wie heftig wird der schwarze Moderator Chris Rock über die „weißen Oscars“ ohne einen einzigen nominierten afroamerikanischen Schauspieler herziehen? Kommt es gar zu Protesten in der Show?
Und kommt doch alles ganz anders, als ich hier so besserwisserisch prognostizieren?

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