• Bargeld und Plastikgeld

    Die Rückkehr der Raubritter

    Ich zahle gerne mit meiner Kreditkarte; oder mit meiner EC-Karte, die wohl längst GiroCard heißt. Manchmal zahle ich im Supermarkt sogar Beträge unter 20 Euro mit der Karte, weil ich einem plötzlichen Impuls nachgebend einkaufen war und nicht daran gedacht habe, vorher Bargeld zu ziehen. Das ist mir dann ein wenig unangenehm, wahrscheinlich, weil es einfach so ungewohnt ist, aber dann denke ich mir, dass das ja die neue Zeit ist, in der man auch 13,89 Euro per Karte begleicht. Trotzdem will ich auf das Bargeld nicht verzichten. Ich bin empört über die Spitzen der Weltbanken, die in Büros jenseits der 25. Stockwerke ihrer Glastürme Pläne schmieden, mir Münze und…

  • Am Morgen des Rückreisetages warte ich auf den Bus, der mich nach San Sebastián bringen soll.

    15:38 hrs.

    Der Urlaub ist zu Ende. Um fünf nach acht habe ich mich von Britta und Reinhard verabschiedet und mich auf den Weg zur Bushaltestelle gemacht, an der mich der Bus um 8.30 Uhr (Foto) aufpicken soll. Um 0.43 Uhr (23.43, La-Gomera-Zeit) habe ich daheim meine Wohnungstür aufgeschlossen; mit der einen Stunde Zeitunterschied zwischen dort und hier war ich fünfzehn Stunden und achtunddreißig Minuten unterwegs – fahren, warten, Fähre, warten, fliegen, warten, Kofferband, warten, S-Bahn – ein Zeitraum, den ich mir hypnotisch verkürze, indem ich eine Bilanz der drei Gomera-Familienwochen ziehe, in Gedanken nochmal den Hausberg erwandere, sexuellen Phantasien nachhänge, meinen aktuellen Roman lese, überlege, ob ich Samstag schon wieder rudern…

  • Stadt – Land – Fluss auf La Gomera, mit eigenen Begriffen

    Nicht für die Schule …

    Einfach ma einen raushauen. Ob‘s stimmt, seh‘n wa dann später! Beim Wortfindungsspiel „Stadt – Land – Fluss“ geht es darum, am schnellsten Begriffe zu definierten Kategorien zu finden, die alle mit dem selben Buchstaben beginnen. Das Spiel war früher bei bildungsbürgerlichen Eltern beliebt, um dem Nachwuchs einen reichen Wortschatz nebst geografischen Kenntnissen zu vermitteln. Ähnlich dem Erkenntnisgewinn beim Kreuzworträtsel kannten bald auch 12-Jährige exotische Flüsse mit dem Anfangsbuchstaben X. In Zeiten von 24/7-Online und jederzeit verfügbarer Lexika markiert das Kennen exotischer Flüsse mit X keinen Vorsprung mehr, im Gegenteil, eher verstopft es die nur begrenzt vorhandenen Zellen des Gehirns, die heute woanders dringlicher gebraucht werden – zum Beispiel bei der…

  • Statue des Guanchen-Rebellen Hautacuperche

    Eine Portion Abschied

    Heute vor einer Woche schaute P. auf ihren Kalender und stellte fest, „Boh, der Urlaub ist ja schon fast wieder vorbei!“ Halb leer statt halb voll. Nun, was damals noch wie ein Märchen klang, ist heute fast Wirklichkeit, und man kann es überall sehen. Meine allmorgendliche Laufstrecke ist seit gestern bevölkert mit anderen Läufern – junge, alte, paarweise, alleine, meine Richtung, entgegengesetzte Richtung, alles Mitteleuropäer; zu den Straßenkehrern in ihren gelben Westen haben sich Straßenmaler in gelben Westen gesellt, die Fahrbahnmarkierungen mit Farbrollern erneuern. Zu Brittas großer Freude haben nun auch viele Restaurants ihre Vacaciones beendet, um rechtzeitig zur anlaufenden Hauptsaison vom Touristenzustrom zu profitieren, der nun bald vom spanischen…

  • An der Fleischtheke im SPAR-Supermarkt in Vueltas

    Wurst vom Amt

    Zuhause kenne ich das, wenn ich aufs Amt muss, meinen Personalausweis verlängern, Führerschein ordern, Reisepass machen lassen. Dann kommt man in diese seelenlosen Großräume voller seelenloser Gestalten, zieht eine Nummer und wartet, bis über einer der seelenlosen Türen ebendiese Nummer aufgerufen wird. Da geht man dann durch und hofft, alle geforderten Papiere beisammen zu haben. Im Supermarkt auf La Gomera gibt es auch diese Nummern. Ich kann nicht einfach an die offenbar kundenlose Fleischtheke gehen und sagen, was ich möchte. Ich muss zuerst eine Nummer ziehen. Ich komme dran, wenn diese Nummer über der Theke aufgerufen wird. Es ist nie sonderlich voll, wenn wir einkaufen – vielleicht haben wir da…

  • Nackte am Playa del Ingles

    Zieht! Euch! Was! An!

    „Hach, das war ja wiiieee im Pa-ra-dies! Der Strand … also ein-fach pa-ra-die-sischschsch!“ Der Strand wie das Paradies? Also mal so sagen ich es will: Wenn Adam und Eva so ausgesehen und sich verhalten hätten, wie die Nackten, die hier am Strand herumlaufen, die Menschheit hätte nicht mal aussterben können … es sei denn, man hätte die beiden Wesen, die unsere Geschichtsschreibung als Adam und Eva kennt, schon als Menschheit bezeichnet. Es gibt nichts Unerotischeres, nichts Abtörnenderes, als nackte Menschen am Strand. Es mag sein, dass wir uns einst Felle überwarfen, allein weil uns kalt war. Aber das liegt viele tausend Jahre zurück. Heute werfen wir uns Felle über, um…

  • Hartung an den Corros de Epina

    Glaube. Liebe. Tod.

    Amokfahrt in Nizza. Putsch in der Türkei. Tote Polizisten in Baton Rouge. Nominierungsparteitag der Republikaner. In der vernetzten Welt ist man niemals aus der Welt. Die Ereignisse erreichen einen – höchstens die sicher zahllosen Brennpunkt-Sendungen und Livestrecken im Tagesprogramm bekomme ich im Valle nicht mit. In der friedlichen Abgeschiedenheit dieser irgendwie in den 1970er Jahren steckengebliebenen Enklave erscheint allerdings der Krieg-Terror-Brexit-IS-AfD-Besorgte-Bürger-Irrsinn der vergangenen Monate nochmal monströser, unglaublicher. Alle durchgedreht. Galt nicht eben noch Schlau ist das neue Sexy? Und jetzt dominieren die Ritter des Heiligen Keep It Simple! Ich wähne mich in der globalen Version des Stephen-King-Romans In einer kleinen Stadt. Da öffnet in Castle Rock ein kleiner Laden namens…

  • Meine Laufschuhe

    Sonntag

    Der alte Mann auf dem Stuhl. Der dicke Teenager mit Brille, der mir immer erst im letzten Moment Platz macht. Die Promenadenmischung, die an der Promenade stromert, sich in Pfützen suhlt und Anschluss sucht. Der schwarze Jogger mit iPhone, Mütze und federndem Schritt. Die Lieferanten, die in knatternden Autos Bäcker, Frühstückscafés und Supermercados beliefern. Sie alle fehlen heute. Ich habe in La Gomera das Laufen wieder angefangen, brauche offenbar Bewegung, eine Kompensation für nicht geruderte Rheinkilometer. Es gibt hier für Wiedereinsteiger einen schönen Rundkurs – La Playa, Vueltas, Borbalan, La Puntilla heißen die Örtchen. Die Strecke misst 4,27 Kilometer, hat leichte Steigungen und Gefälle. Beim morgendlichen Lauf wird mir wieder…