Am Strand von Tel Aviv
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Eine Lanze für den Strand

Ich wache wieder in meinem eigenem Bett auf. Und mein erster Gedanke meines noch sehr im Urlaub hängenden Gemüts – ich finde es immer noch erstaunlich, dass es die Technik ermöglicht, schon Monate im Voraus präzise zu sagen, wie lange ich an einem bestimmten Tag für die Strecke von Tel Aviv nach Mainz brauchen werde und die Voraussage dann auch so eintrifft; aber für mein Gemüt, meine Seele waren diese sechs Stunden, 20 Minuten von dort nach hier eindeutig zu schnell – also mein erster Gedanke meines noch sehr im Urlaub hängenden Gemüts ist „Jetzt wär‘ ich gerne am Strand!“ Das finde ich doch einigermaßen erstaunlich.

Da war ich zwei Wochen unterwegs in einem facettenreichen, widersprüchlichen, reichhaltigen Land mit einer Gesellschaft zwischen hypermodern und fanatisch religiös; und mein erster Gedanke nach dem Urlaub gilt dem Strand von Tel Aviv. Was soll mir das sagen? Dass das andere einfach zu viel und noch nicht verarbeitet, geordnet und sortiert ist? Oder war die Zeit am Strand doch wichtiger für – wieder – mein Gemüt? Ich bin nahezu jeden Morgen zwischen Aufstehen und Frühstück kurz an den Strand, zehn Minuten ins morgensonnige Wasser und dann aufgebrochen zu meinen Touren. Die Abende habe ich am Strand oder in Strandnähe verbracht, Sonnenuntergang geguckt, Carlsberg getrunken und meinen Eindrücken nachgehangen. Die kreisten dann meist weniger um Tempelberg, Dead-Sea-Salzgehalt oder Leben in der Wüste.

Meistens war ich damit beschäftigt, diese Äußerlichkeiten mit der Gesellschaft in Verbindung zu bringen, die dieses Land bevölkert. „Die sind manchmal ein bisschen bescheuert. Aber man muss sie einfach lieben!“ In dieser Art waren mir die Israelis im Vorfeld meiner Reise gleich mehrfach beschrieben worden. Und ist es nicht in der Tat bescheuert, wie die sich da wegen unterschiedlicher Anschauungen darüber, welcher Gott wie anzubeten sei, seit Jahrhunderten das Leben zur Hölle machen? Aber ist es nicht bewundernswert, mit welche Akkuratesse und Ausdauer sie die Wüste Negev in einen Lebensraum für Menschen verwandeln, einfach weil sie sagen Mehr als dieses Land haben wir nicht, also müssen wir soviel wie möglich davon urbar machen? Dass sie sich auch Land urbar machen, das ihnen eigentlich gar nicht zusteht – Stichwort „Siedlungen“ – sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnt, aber nicht vertieft, weil ich, a., darüber in den zwei Wochen keine Erfahrung gesammelt habe und es, b., Menschen gibt, die darüber mit mehr Erfahrung sprechen können.

Und ist es nicht faszinierend, wie diese Nachfahren jüdischer Immigranten hier in Tel Aviv mit so einer Mir-kann-keiner-Attitüde auftreten, als könnten sie morgen US-Präsident (als Synonym für die mächtigste Person der Welt), Vorstandschef eines globalen Unternehmens oder erfolgreicher Gründer der nächsten Silicon-Valley-Erfindung werden. Ich hatte noch an keinem Strand der Welt – nicht in Kalifornien, nicht in Asien, nicht an der Nordsee und schon überhaupt nicht an den Stränden des Mittelmeers diesen mächtigen Eindruck, hier von jungen Leuten umgeben zu sein, die sich fühlen wie die Herren der Welt. Das hört sich nach Vorwurf der Weltverschwörung an; aber so ist es nicht gemeint!

Dieses Land brummt. Die Menschen dort starten andauernd durch. Das ist in Tel Aviv, wo überall neue Hochhäuser gebaut werden, deutlicher zu erkennen, als in Jerusalem, das von außen vor allem über seine Jahrtausende alte Geschichte wahrgenommen wird – und wegen der Schlachten um den und auf dem Tempelberg; auch mehr, als in Haifa, wo sich Softwarekonzerne und Programmierer tummeln, die traditionell eher innerlich sind (aber dort habe ich den schönen Artikel gelesen, dass die Programmierer bei einem der Raketenangriffs-Zeiten in den Luftschutzkellern unbeirrt weiter programmiert hätten).

Die Energie, mit der die Israelis ihr Leben entwickeln, ist allgegenwärtig. Das macht sie laut im Dialog, auch vorlaut. Die Mauer, die sie um das Westjordanland herum gebaut haben, weil ihnen nichts anderes einfällt, wie sie die Suicide Bomber von dort stoppen sollen, ist schiere Arroganz: Über diese Leute, über deren Beweggründe wollen sie offenbar nicht nachdenken, mit den Schmuddelkindern spielt man ohnehin nicht. Ich weiß auch nicht, ob die Grenzen Eretz Israels gerechtfertigt sind, aber der Besuch in Yad Vashem hat mir nochmal deutlich gemacht, dass es gerechtfertigt ist, dass die Juden irgendwo in dieser Region einen Platz beanspruchen dürfen – warum also nicht hier? Weil aber auch mir in den zwei Wochen keine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt eingefallen ist, kann ich auch die Mauer nur beobachtend zur Kenntnis nehmen und versuchen, mir einen Reim auf all das zu machen.

Die jüdische Synagoge zu Mainz

Sie fühlen sich hundertprozentig im Recht; und zwar weltweit, wie das von israelischer Seite in Kauf genommene Dauerzerwürfnis zwischen US-Präsident Obama und Regierungschef Netanjahu zeigt, Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das ist nicht auf den ersten Blick sympathisch, aber energetisch. Und für einen, der aus Mainz zu Besuch ist, ganz hilfreich. Viele kennen Mainz am Rhein als eine der „biggest jewish communities in Europe“. Wenn ich dann erwähne, dass ich gleich um die Ecke der neuen, 2011 geweihten Synagoge wohne, ist mir eine Einladung zu einer Tasse Kaffee sicher.

Wahrscheinlich habe ich wegen all dieser Gedanken als erstes an den Strand gedacht heute Morgen. Ich weiß nicht, wie belastbar meine Beobachtungen sind – ich bin zwei Wochen durchs Land gereist, ich habe keine Fachliteratur gewälzt – aber der Strand war der erste Schritt zur Reflexion meiner Eindrücke.

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