Das Marburg-Virus
Etwa zu der Zeit, als Christoph Kolumbus La Gomera als letzten Rastplatz vor der Autobahn nach Indien nutzte, an der er dann Amerika entdeckte, näherten sich im weit entfernten Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen gerade die Landgrafschaften Oberhessen und Niederhessen, die mehrfach zum Zwecke einer Erbfolgeregelung getrennt und wieder verbunden worden waren, einander wieder einmal an. Die Region hatte unruhige Zeiten hinter sich. Eine Folge der dauernden Teilung war, dass die einst stolze Residenzstadt Marburg an Bedeutung verlor zugunsten Kassels, welches zur zweiten Residenzstadt herangewachsen war.
Marburg wird Universitätsstadt
Wer beide Städte kennt, weiß, wie sehr Marburg das geschmerzt haben muss. Zum Glück residierte ab 1509 Philip I. in der Stadt, ein glühender Anhänger der Reformation und als solcher Streiter für Bildung und Aufklärung – heute ist Marburg eine bedeutende Universitätsstadt, während Kassel … naja, aber das ist eine andere Geschichte.
Auch La Gomera geriet in dieser Zeit in ruhigeres Fahrwasser, nachdem Spanien die Insel 100 Jahre zuvor erobert und die Ureinwohner grausam unterdrückt hatte. 1514 hatten es die Gomeros erreicht, dass sie den spanischen Bürgern gleichgestellt wurden; was besser klingt, als es tatsächlich war. Die spanischen Feudalherren hielten sich die Gomeros als billige Pächter und Tagelöhner, die Zuckerrohr und Wein für den Export vorbereiteten.
Hier Gebietsreform, dort regelmäßiger Fährverkehr
Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verlor Marburg im Rahmen einer Gebietsreform seine Kreisfreiheit, wurde dadurch aber zum Mittelpunkt des neuen Großkreises Marburg-Biedenkopf und wuchs flächenmäßig um mehr als das Fünffache und zählt heute 73.000 Einwohner. Zur selben Zeit wurde La Gomera näher an die Welt gebunden – 1974 gab es den ersten regelmäßigen Fährverkehr zwischen Los Christianos auf Teneriffa und San Sebastián auf La Gomera. Diesen Fährverkehr hat 40 Jahre später Meister Propper, einer der in unseren Augen prominentesten Gomeros, genutzt, um nach Marburg umzusiedeln.
Er heißt natürlich nicht Meister Proper. Aber er sieht so aus, und er war Herrscher und musikalischer Impresario in der Casa Maria, der ältesten und wohl bedeutendsten Lokalität im Valle Gran Rey (auf dem Bild oben), exponiert gelegen und nach dem Ableben der Namen gebenden Maria an zwölf Erben gefallen, unter ihnen Meister Proper, der eigentlich Pepe heißt.
Wertvolles Kulturgut verfällt
Die genauer Umstände liegen im Dunkeln. Dem hiesigen Auswanderer-Blatt „Valle Bote“ war zu entnehmen, die Erben hätten von Meister Proper drei Millionen Euro haben wollen, solle er die Casa Maria weiterführen. Seine genaue Reaktion ist nicht überliefert, aber lege ich seinen gestrengen Blick zugrunde, den er selbst dann präsentierte, wenn er mit seiner Altherren-Combo fröhlich zum Trunke aufspielte, scheint ein Mittelfinger-zeigen sehr wahrscheinlich.
Es heißt, seinen Abgang habe „wahrscheinlich“ eine entfernte Nachfahrin der Landgrafen von Hessen-Marburg besorgt.
Die Casa Maria indes verfällt. In den Abendstunden wirkt sie wie eine dunkle Zahnlücke in der illuminierten Strandpromenade.