Verordnung 1169/2011
Es muss am grauen Sand liegen. Nebenan auf Teneriffa haben sie ja Strände umgefärbt, haben tonnenweise Sand aus der Sahara eingeschifft, um hier und da gelbe Strände vorweisen zu können. Auf La Gomera gibt es sowas nicht. Deswegen ändert sich hier nichts, bleiben die Rollkoffer-Horden fern.
Die Touristen sind ebenso immer dieselben, wie die Häuser; neue gibt es nicht. Offenbar kommen also die Menschen, die grauer Sand zugunsten einer einfach gebliebenen Inselgesellschaft nicht stört, immer wieder, und die Massentouristen bleiben im gelben Saharasand der Nachbarinsel Teneriffa hängen. Wer auf La Gomera mit Plänen kommt, durch Hotels daran was zu ändern – die Architektur fügt sich beinahe unsichtbar in die Bergformationen der Natur – oder durch den Bau eines Jachthafens, bekommt den geballten Widerwillen der Gomeros zu spüren. Entwickeln sollen sich die anderen. In La Playa im Valle Gran Rey entwickelt sich nur das, gegen das man sich nicht wehren kann.
Als ich 2012 zum ersten mal hier war, war der Barranco (spanisch für Schlucht), der vom Gipfel der Insel runter ins Valle Gran Rey führt, noch nicht gepflastert – die Bauarbeiten daran waren im Gange (ebenso wie – scheinbar unverändert – 2013); die Casa Maria war noch emotionales Zentrum des Ortes; es gibt eine neue, breit geteerte Straße, deren Sinn sich eher erschlösse, gebe es denn einen Jachthaften und Hotels, die dann für jene Verkehrsdichte sorgten, welche über die neue, breit geteerte Straße abfließen könnte – es gibt aber keine Verkehrsdichte, auch die Autos scheinen dieselben zu sein wie 2012, lediglich die Wohnmobile, die früher an dem Sträßchen standen, das der breit geteerten Straße gewichen ist, stehen jetzt zu Dutzenden an der Küstenpromenade und versperren den Blick aufs Meer – was aber nicht weiter schlimm ist, denn neue Häuser, Hotels Gott behüte gar, die den Blick auf jenes Meer gerne hätten, wurden hier nicht gebaut, sind per Verordnung verboten; statt dessen haben Residentes hier Bananenplantagen angelegt – als gäbe es nicht schon mehr als genug Bananenplantagen hier.
Der gepflasterte Barranco, die breit geteerte Straße wurden aus EU-Fördertöpfen finanziert – sehen schick aus, ihr Sinn aber bleibt im Dunkel. Ob der gepflasterte Barranco zu Tal schießende Wassermassen, die hier bei starkem Regen vorkommen, besser verarbeitet und kanalisiert, als der alte, umgepflasterte, weiß ich nicht; eine Gefahr durch Hochwasser war durch die natürliche Schlucht schon früher nicht gegeben. Man kann also sagen: Hier ändert sich nichts, es sei denn, die EU ändert was.
Deswegen bekomme ich, vierte augenfällige Veränderung, jetzt auch in jedem Restaurant erst einmal erklärt, welche Allergene verarbeitet werden. Die Restaurants setzen mit der sperrigen ersten Seite ihrer Speisekarten die EU-Verordnung 1169/2011 um, die den übersichtlichen Titel Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission trägt, Lebensmittel-Informationsverordnung, kürzer LMIV. Seit Dezember 2014 ist sie verbindlich für alle EU-Mitgliedsländer.
Für den Gelegenheitsbesucher dieser schönsten Insel Europas haben aber weder LMIV noch breit geteerte Straße oder gepflasterte Abflüsse Auswirkungen auf den ewigen Aussteiger-Charme, den La Gomera mit Zähnen und Klauen verteidigt. Mögen die brummenden Kofferroller auch fürderhin im goldenen Saharasand von Teneriffa kleben bleiben.
Thunfisch und Carne en Salsa im Valle übrigens sind auch unter 1169/2011 so gut wie eh und je.