Bargeld und Plastikgeld
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Die Rückkehr der Raubritter

Ich zahle gerne mit meiner Kreditkarte; oder mit meiner EC-Karte, die wohl längst GiroCard heißt. Manchmal zahle ich im Supermarkt sogar Beträge unter 20 Euro mit der Karte, weil ich einem plötzlichen Impuls nachgebend einkaufen war und nicht daran gedacht habe, vorher Bargeld zu ziehen. Das ist mir dann ein wenig unangenehm, wahrscheinlich, weil es einfach so ungewohnt ist, aber dann denke ich mir, dass das ja die neue Zeit ist, in der man auch 13,89 Euro per Karte begleicht.

Trotzdem will ich auf das Bargeld nicht verzichten. Ich bin empört über die Spitzen der Weltbanken, die in Büros jenseits der 25. Stockwerke ihrer Glastürme Pläne schmieden, mir Münze und Schein zu nehmen und das mit mehr Sicherheit für mich begründen. Bargeschäfte jenseits der 5.000 Euro will die Bundesregierung demnächst verbieten, den 500-Euro-Schein hat die EZB schon abgeschafft, in Spanien und anderen südeuropäischen Ländern gibt es Bargeldobergrenzen, mal 1.000, mal 3.000 Euro. Ab dieser Schwelle ist es verboten, mit Bargeld zu bezahlen. Anders ausgedrückt: EU-Staaten bestrafen ab einem willkürlich festgelegten Betrag, mit einem gesetzlichen Zahlungsmittel zu zahlen. Begründung: Damit werde Schwarzgeld-Geschäften und Drogenhändlern das Leben schwer, meines in der Folge also sicherer gemacht.

Der vermeintliche Schutz vor Flüssigsprengstoff hilft nur dem Duty Free Laden

Das funktioniert nach demselben Muster, nach dem sie an Flughäfen immer entwürdigendere Prozeduren erfinden, mit denen sie Touristen maltraitieren, angeblich, um das Fliegen sicherer zu machen. Und dann betonen sie beim nächsten Anschlag, „eine hundertprozentige Sicherheit kann es eben nicht geben“; aber die ehemals runtergekommenen Duty-Free-Shops an den innereuropäischen Flughäfen reiben sich die Hände, weil Passagiere jetzt notgedrungen bei ihnen überteuertes Trinkwasser kaufen müssen, wollen sie an Bord mal einen Schluck trinken – und an Bord verkaufen die Fluggesellschaften die Cola gleich für sechsfünfzig die 0,3-Literflasche. Alles zu meiner Sicherheit: In meiner von daheim mitgebrachten Wasserflasche könne sich ja Flüssigsprengstoff verbergen. Alles zu meiner Sicherheit: Drogenbosse verkaufen für jenseits der 5.000 Euro schließlich Drogenkoffer für Süchtige in meiner Heimatstadt, die, weil sie an Geld für ihren täglichen Drogenkonsum kommen müssen, mich dann überfallen; und die Geldwäscher und Steuerhinterzieher, die Ihre Millionen in Bargeldbeuteln über die Grenze bugsieren, verhindern damit, dass der Staat mit Steuergeldern mehr Polizei, vulgo: mehr Sicherheit einkaufen kann, die mich in meiner Heimatstadt dann vor marodierenden Süchtigen schützen könnte.

In der Theorie wahrscheinlich irgendwie richtig, man muss sich das nur lange genug zurechtbiegen, dann wird schon ein argumentativer Schuh daraus. Aber hundertprozentige Sicherheit kann es natürlich nie geben. Vielleicht überfährt mich ja auch ein übermüdeter Lkw-Fahrer, der weder Drogen noch Bargeld transportiert. Ein bisschen Pech ist immer.

Es geht nicht um meine Daten, es geht gegen die Raubritter in den Glastürmen

Meine Ablehnung der Anti-Bargeld-Ideen wird belächelt. Mein Freund Markus mosert via Facebook über alte Damen, die vor ihm an der Supermarktkasse möglichst passend zahlen wollen und mit der Suche nach Ein-Cent-Münzen nur den ganzen Verkehr aufhalten. Ich solle mich nicht so anstellen, sagen andere, anderswo würde ich meine Daten schließlich bereitwillig hinterlassen – bei Facebook etwa oder SnapChat; als ob es mir um den Schutz meiner Daten geht – die werden schon lange nicht mehr geschützt, wie ich von Edward Snowden erfahren habe. Zwar schreckt mich das schwedische Beispiel, wo erste Kirchen ihre Klingelbeutel gegen Kartenlesegeräte eingetauscht haben, aber ich gehe nie in die Kirche, nutze also auch den Klingelbeutel nicht.

Nein, mir geht es nur um mein Geld, ganz profan. Ich will es nicht fremden Leuten schenken, die die Weltwirtschaft auf meinem Rücken sanieren wollen. Vor einigen Tagen haben sich in Jackson Hole, Wyoming, Notenbanker aus aller Welt getroffen. Sie sorgen sich, weil die Weltwirtschaft nicht gescheit wächst – die Lehmann-Pleite ist nicht überwunden, Griechenland, Italien, Spanien und auch Frankreich sind längst nicht der Gefahr entronnen, wirtschaftlich abzustürzen, das heißt, diese Staaten investieren nicht, die Leute halten ihr Geld zusammen statt es auszugeben, Banken vergeben keine Kredite mehr, weil sich das Geschäft nicht lohnt, und es lohnt sich nicht, weil die Zinsen so niedrig sind, die EZB schon bei fast null Prozent angekommen ist und laut über den Negativzins nachdenkt, also darüber, für Geld auf dem Spar- oder Girokonto Geld zu verlangen statt zu geben. Der Kreislauf des Geldes, Lebenselixier einer Marktwirtschaft, stockt. Selbst solvente Staaten wie die Bundesrepublik zögern, Steuergeld in Infrastruktur und Wachstum zu stecken und weil den Staaten nicht beizukommen ist, nehmen die Notenbanker in Jackson Hole den privaten Sparer, mich zum Beispiel, ins Visier. Das ist die Rückkehr der Raubritter; sie sitzen jenseits des 25. Stockwerks.

Die Weltwirtschaft auf dem Rücken des Kleinsparers

Wenn es kein Bargeld mehr gibt, es also keinen anderen Platz für mein Geld, als die digitalen Speicher der Bank, kann man mich zwingen, Geld auszugeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Wenn ich vor der Wahl stehe, Strafzinsen zu zahlen oder ins Kino zu gehen – weg wäre das Geld so oder so – würde ich wohl ins Kino gehen; man muss nur den Strafzins hoch genug ansetzen. Bisher geht das nicht. An dem Tag, an dem meine Bank Strafzinsen einführt, hebe ich mein Guthaben ab und horte es als Bargeld unter meinem Kopfkissen. Ich finde es reicht: Meine Freiheit wird überall eingeschränkt, stets, um mich vermeintlich vor etwas zu beschützen. Stets wird das Übel der Menschheit zitiert, um meine Einschränkungen zu begründen, stets kommt dieses Stell-Dir-vor-was-alles-passieren-kann, Teile meiner Antwort könnten die Bevölkerung beunruhigen.

Es passiert aber kaum etwas.

Auf all meinen Flügen hat es noch keinen durch Kriminalität verursachten Vorfall gegeben, dauernd hingegen Vorfälle, die durch schlecht ausgebildetes oder einfach inkompetentes Personal am Flughafen oder im Flugzeug verursacht wurden. Muss ich erwähnen, dass ich noch nie überfallen worden bin (auch nicht in dunkler Bahnhofsgegend)? Es geht den Bargeld-Abschaffern womöglich – Achtung: Erkenntnis! – gar nicht um meine Sicherheit oder Schwarzgeld oder Steuerhinterziehung; nein, sie wollen einfach ihre Interessen durchsetzen, und die lauten „Status Quo erhalten“. Ausgerechnet diejenigen, die jedem Kredit-nehmenden Kleinunternehmer als erstes raten, schlecht laufende Ladenhüter aus dem Programm zu streichen, halten verbissen an ihrem eigenen Ladenhüter fest – was ist die liberalisierte Marktwirtschaft anderes, als ein tot gelaufener Ladenhüter, den, außer dem Händler, niemand mehr will? Man könnte ja die Steuerflucht auch durch EU-weit einheitliche Steuergesetze beenden. Macht aber keiner. Man könnte Schwarzgeldschiebereien auch durch ein gerechteres Steuersystem eindämmen. Macht aber keiner. Man könnte Drogenkriminalität auch durch Legalisierung weicher Drogen eindämmen. Macht aber keiner. Statt dessen wird zu meiner Sicherheit das Bargeld abgeschafft und ich am Flughafen ausgezogen.

Vielleicht ist die Krone der Schöpfung nicht würdig, zu überleben

Lasst mir mein Bargeld! Behandelt mich nicht wie einen potenziellen Straftäter und zieht mich nicht vor allen Menschen aus, nur weil ich eine Flugreise gebucht habe! Lasst mir meine Freiheit! Ich nehme die Gefahr in Kauf, explodierend vom Himmel zu fallen – kann ich ja eh nicht verhindern, hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Wenn der Mensch, diese Krone der Schöpfung, so scheiße ist, wie Ihr in Euren Elfenbeintürmen insinuiert, ist uns ohnehin nicht mehr zu helfen. Statt uns wegen der Schurken abzuschotten, lasst uns die Freiheit der Hoffnung feiern, die Hoffnung, nicht vom Himmel zu fallen, nicht von Süchtigen erschlagen zu werden. Lasst uns frei und an das Gute im Nachbarn, im Supermarkt, im Restaurant, in der Kirchenbank glauben. Eine hundertprozentige Unsicherheit kann es ohnehin nicht geben.

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