Ein Sender, ein Gipfel, ein Team
Plötzlich bin ich wieder Reporter. Der Tag, der mit einer Pleite Fahrt aufnahm, endet in fröhlichem Miteinander an der Hotelbar, während Barcelona die Champions League gewinnt. Der Satz „Wir sind doch ein Sender“ – der eigentlich gerne meinen will „Wir sind doch eine Familie“ – verliert hier in Garmisch-Partenkirchen seine klebrige Verlogenheit.
Ich hatte mich darauf vorbereitet, mich mit meiner Kamera heute ins Getümmel der ersten Großdemo hier zu stürzen, Auftrag: Bilder liefern für die Reporter, die die G7-Stücke für unsere Abendnachrichten bauen. Orga-Chef A. sah in mir als Videojournalist („VJ“), als Kamerareporter vor allem die schnelle, mobile Reportage-Unit; die Vorteile des Ein-Mann-Teams in einer Großdemo, bei der Gewalt nicht nur nicht ausgeschlossen, sogar explizit erwartet werden kann? Das machte mich etwas unruhig, andererseits hatte ich dieses wird-schon-schiefgehen-Gefühl.
Aber dann musste ich auch gar nicht in die Großdemo – wir hatten ausreichend Teams vor Ort und mitten drin.
Mein neuer Auftrag: einen Fototermin einer NGO wahrnehmen und Bilder liefern, die vielleicht in irgendeinem Beitrag Verwendung finden. Ich ging hin, filmte sieben NGO-Mitarbeiter, die sich schwere Pappmachée-Masken der sieben Staatsoberhäupter übergestülpt hatten, furchtbar dabei schwitzten und irgendwie deutlich machen wollten, dass die G7 am Scheideweg steht – in die eine Richtung geht‘s ins Unglück, in die andere in den Weltfrieden. Fototermine sind für TV-Kameras blöd. Es bewegt sich nichts. Also habe ich mich bewegt. Was der Sache aber auch nicht mehr Pepp verlieh.
Sowas gehört zum Reporterleben. Ich war pflichtschuldigst geknickt, fand es (als „Onliner“) aber insgeheim geil, überhaupt geschickt worden zu sein – meine erste Reportage hatte ich ja gestern erst gemacht – und Auszüge daraus hatten es bis in die wichtigste Sendung des Abends geschafft. Außerdem hatte ich abseits des linearen TV ja jede Menge Tweets und Instagram und facebook-Posts abgesetzt. Das befriedigende Gefühl, überhaupt was getan zu haben, stellte sich also ganz nebenbei ein.
Kaum zurück im IMC, dem International Media Center, mit meinem nicht in diesen Tag passenden TV-Material, bekam ich einen neuen Auftrag, sehr sophisticated, eine komplexe Geschichte: „Mach doch mal was über die Irrealität dieses Gipfels“, sagte Orga-Chef A., „niemand kann sich frei bewegen, die Bilder sind inszeniert, die vorgeblich spontanen Situationen minutiös geplant. Kriegst du das hin?“
Kriegst Du das hin? Was ist das für eine Frage? Sag mal in einem Raum, in dem lauter TV-Profis sitzen und in den gerade die Gipfel-Korrespondentin zur Tür herein kommt und dem Washington-Korrespondenten eine Kusshand zuwirft „Äh, nö … das weiß ich jetzt so eher nicht“. Also habe ich gesagt: „Klar. Geile Idee. Mache ich!“
Und jetzt sitze ich an diesem Stück und fühle mich wie früher, als ich in diesem Beruf angefangen habe. Ich nutze die Infrastruktur dieser professionellen Sendemaschinerie, als würde ich seit Wochen nichts anderes machen, konzipiere das Video, schreibe gleich noch einen Artikel dazu für unsere Online-Seite, schicke sicher noch den ein oder anderen Tweet, sichte die Shotlisten der vergangenen Tage, bekomme, wenn ich eine Frage habe, sofort professionelle Unterstützung und stehe abends an der Hotelbar und mein Kollege stellt mich vor „Christoph macht gerade das Stück über die inszenierte Realität solcher Gipfeltreffen.“
Morgen habe ich Interviewtermine mit zwei unserer Korrespondenten zu diesem Thema. Aber das ist überhaupt nichts besonderes. Wir sind ja ein Sender, eine Familie.