Verdamp vill Zick verjange
Verdamp lang her, dass Wolfgang Niedecken den Namen seiner Band als Abkürzung für „billig, attraktiv und preiswert“ übersetzte, weil seine Fans aus Schülern und Studenten bestanden. Die Konzertbesucher hier in Bensheim an der Bergstraße sind wohlhabende Mittelstands-Bürger und erinnern an die Typen, vor denen uns Niedecken früher immer gewarnt hat. Frauen mit pflegeleichter Kurzhaarfrisur, Spaghettiträger-Kleid, lackierte Fußnägel in Kunstleder-Sandalen.
Männer mit grauem Haarkranz, bedrucktem Sweatshirt und halblange Hose aus dem Koffer für den Pauschalurlaub. Dä Durchblickprofi uss dämm Bausparverein, rundömjebräunt, met Frau un Pudel doheim; met singer Einbaukösch, die rustikal ess, ävver dennoch modern. Dä Naach für Naach bess zom Projrammschluß em Sessel hängk, dä veezehn Daach Benidorm paradiesisch fingk. Dä freut sich jetz ald op sing Zokunf als Rentner, op dä Balkon met Liejestohl, denn do pennt er bess ‚e die Löffel affjitt, die ‚e selvs ald lang nit mieh hätt. Für das Ticket zahlen sie 39 Euro aufwärts.
BAP spielt auf dem Hessentag in Bensheim. Der Mann auf der Bühne sieht aus wie damals, nur grauer. „Alles fügt sich und erfüllt sich – man muss es nur erwarten können“, sagt er im Plauderton und stellt vergnügt fest, dass sich niemand beklagt, dass die Halle voll bestuhlt ist. Auch Wolfgang Niedecken bestreitet, drei Jahre nach dem Schlaganfall, sein Konzert im Sitzen. Seine Stimme ist noch der dunkle Bass, der den Ton nicht immer trifft. Die Setlist: aktuelle Songs und … Erinnerungen an eine bewegte Jugend. Plötzlich roch et noch Dior, wo vürher Qualm un Bierdunst woor, unmittelbar woor ich bejeistert. Das affjetaut-Album, 1980 war das, heiße Diskussionen mit Bettina über die Ausrichtung unserer Schülerzeitung – „Was haben Atomkraftwerke in einer Schülerzeitung verloren?“ „Boah, bist du naiv … wir können ja Homestories unserer Lehrer anbieten, Super!“ – zwei engagierte Redakteure, zu engagiert, um zu bemerken, was wir sonst noch fühlten.
Die Band von damals gibt es nicht mehr. Alles neue Musiker auf der Bühne, unter denen Anne de Wolff auffällt, Dauergast bei Niedeckens Gigs, beherrscht Geige, Posaune, Cello und noch ein paar andere Instrumente, eine großartige Musikerin. Sie spielen „Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“ vom Debüt-Album „… rockt andere kölsche Leder“. Niedecken will an den Nagelbombenanschlag erinnern, heute vor zehn Jahren in der Kölner Keupstraße. Mich erinnert das Album an mein erstes BAP-Konzert, 78 oder 79. Ein Sommerabend, mitgesungen, mitgeklatscht, anständig empört über die Ungerechtigkeit der Welt und so und hinterher mit Sabine auf der Wiese rumgeknutscht.
Dann kommt’s: Du häss mich gründlich bedient met dinger Schizzophrenie, dämm ewje Hin un Her Hickhack. Ich pack et nit mieh. Vun dinge Austausch-Jeseechter ess nur eins nit zovill. Wennt sinn muss, mäste su wigger, doch dann loss misch us däm Spill. Sie spielen wirklich „Anna“. Mein „Anna“. Das war im Spätsommer 1980. Ich hatte Anne aus dem Französisch-Leistungskurs meine Liebe gestanden und sie daraufhin nicht mehr mit mir gesprochen, Gänsehaut in der Weststadthalle, das tat weh, ich habe sogar einen Brief geschrieben damals – Mem Rögge zur Wand, spaßend un jede Naach voll woor ich, ming bessje Verstand hassend, total vun der Roll woor ich – „Do kanns zaubere“ ist Teil der Zugabe in Bensheim auf dem Hessentag. Und bei Verdamp lang her, dat ich fast alles ähnz nohm. Verdamp lang her, dat ich ahn jet jejläuv un dann dä Schock, wie et anders op mich zokohm stecke ich mitten im Büffeln fürs Abitur. Ganz schön lang her, verdammt.
Vorgestern begrüßte mich meine Tante mit „Du bist grau geworden!“ Beim BAP-Konzert trage ich eine halblange Hose aus dem La-Gomera-Urlaub, auf mein Hemd ist ein Polospieler aufgenäht. Und die Eintrittskarte habe ich einfach … bezahlt.
Es ess nit immer alles rund jelaufe. Noh fünf Johrzehnte och zovill verlangk. Doch Schwalve kann mer nit für blöd verkaufe, Jott sei Dank! (…) Vun ihm uss kann dä Winter ir’ndwann kumme. Doch eins nohm andre, un op keine Fall muss mer dat övverstürze, eez ens weed e‘ met singem Engel höösch zosamme alt.
Die Gänsehaut kommt zuverlässig.