An einem Bücherschrank in Mainz
Gesellschaft,  Lesen,  Mainz

Leselust

Bücher wegwerfen kann ich nicht. Ob das mit damals, Adolf Nazi, zusammenhängt, oder meiner bildungsbürgerlichen Erziehung geschuldet ist, weiß ich nicht – ich kann‘s jedenfalls nicht. Als ich nun im Zuge meines Neustarts auch meine Wohnung neu eingerichtet habe, sind dabei viele Romane, die, einmal gelesen, über die Jahre nur noch Staub gefangen haben, aussortiert worden. Wohin damit? Ebay? Amazon? Wer gibt denn Geld aus für einen alten Dan-Brown-Schinken, den alle längst im Fernsehen gesehen haben?

Aus Kultursommer wird Lesekultur

Ab in den öffentlichen Bücherschrank damit. Das sind meist ehemalige Stromverteilerkästen, die zu regendichten Bücherschränken umgebaut wurden. Die gibt es mittlerweile in vielen deutschen Städten, in Mainz schon seit dem „Mainzer Kultursommer“ 1994; die kleine Hauptstadt ist damit Pionier auf diesem Sektor. Ursprünglich gestartet als Aktion zweier amerikanischer Künstler unter dem Titel „Die offene Bibliothek“ hat sich daraus über die Jahre so eine Art Stadtteilbibliothek etabliert. Man kann rund um die Uhr Bücher daraus mit nach Hause nehmen, ohne Formalitäten, ohne Aufsicht. Man kann natürlich auch eigene Bücher reinstellen. Anfangs, 1994, klapperten die Initiatoren noch die Nachbarschaft ab und baten erfolgreich um Buchspenden (ein Ehepaar indes tat sich mit der wütenden Aussage hervor: „Wir haben keine Bücher und sind stolz drauf!“), heute regelt sich der Buchfluss von allein. Und zwar rege.

Weil ich viele Bücher aus ihrem Staubfang-Dasein erlöst habe, muss ich zweimal zum Bücherschrank, der in meiner Nachbarschaft steht, laufen. Als ich die zweite Fuhre einräume (keine halbe Stunde nach der ersten), sind die Dan-Brown-Thriller, Sten Nadolnys „Ullsteinroman“ und Thomas Harris‘ „Titan“ schon bei neuen Lesern – und drei Passanten warten auf meinen Nachschub. „Mei Frau braacht Krimis. Übämorsche geht‘s in Urlaub! Habbe se da was dabei?“

Es werde kaum mehr gelesen, heißt es. Ich weiß nicht, was die Leute nicht lesen. Bücher jedenfalls nicht.

Ein Kommentar

  • Ulrike J.

    Nicht anderer Meinung, sondern absolute Zustimmung! Diese Bücherkästen sind eine der besten Ideen überhaupt und obendrein noch Gesprächsanlass, wie meine Eltern bei ihrem letzten Besuch in Mainz und einem Spaziergang über den Feldbergplatz direkt feststellten.

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