Zieht! Euch! Was! An!
„Hach, das war ja wiiieee im Pa-ra-dies! Der Strand … also ein-fach pa-ra-die-sischschsch!“
Der Strand wie das Paradies? Also mal so sagen ich es will: Wenn Adam und Eva so ausgesehen und sich verhalten hätten, wie die Nackten, die hier am Strand herumlaufen, die Menschheit hätte nicht mal aussterben können … es sei denn, man hätte die beiden Wesen, die unsere Geschichtsschreibung als Adam und Eva kennt, schon als Menschheit bezeichnet. Es gibt nichts Unerotischeres, nichts Abtörnenderes, als nackte Menschen am Strand.
Es mag sein, dass wir uns einst Felle überwarfen, allein weil uns kalt war. Aber das liegt viele tausend Jahre zurück. Heute werfen wir uns Felle über, um andere nicht zu belästigen, um nicht öffentliches Ärgernis zu erregen. Jeden Sommer ereifern sich Frauenzeitschriften über staksige, käsige, haarige und vor allem unbekleidete Männerbeine im Stadtbild; am Strand ist dann plötzlich alles egal. Es gibt eine ungeschriebene Übereinkunft, die lautet Am Strand ist immer scheiße!, also rein ästhetisch betrachtet; lässt sich halt nicht ändern, der im Nine-to-Five-Büro abgewohnte Körper sieht in jeder noch so raffiniert geschnittenen Bademode eben nicht gut aus. Dicke Menschen in knappen Poritzenkneifern, anorektische Wesen, die verzweifelt ihr zu großes Kindergrößen-Höschen in Position halten, Elefanten in Menschengestalt, die ihr Recht auf Bikini feiern. War immer so. Ist so. Schwamm drüber.
Und dann sind da aber die, die gar nichts anhaben. Heute saß ich am Playa del Inglés. Das ist der Strand, an dem immer die rote Flagge weht, weil hier ein kräftiger Wellengang und große Felsen unter Wasser eine körperverletzende Allianz eingehen, an den sich also die mitteleuropäische Durchschnittsfamilie nicht hin verirrt, es aber den schöneren Sonnenuntergang gibt, das abenteuerlichere Bodysurfing, die besseren Drogen – und also das hippe Volk der Nackten. Nackte am Strand bilden sich ein, die besseren Bader, das wahre Naturvolk zu sein, sie sind die Veganer unter den Strand-Gehern. Stolz lassen sie hängen, was sie als Körperauswölbungen hier oder da und dort haben, kratzen sich, wo’s juckt; wen juckt’s. Irritierend unappetitlich wird es, wenn Dirk des Weges gekommen ist.
Dirk ist sowas wie das Ein-Mann-Starbuck’s am Inglés. Seit Jahren bietet er frisch gemachten Café con leche und „Pfannkuchen“ oder „Palatschinken“ oder „Crêpes“ – er hat für jeden Wochentag einen anderen Namen für seine in einen mit Nutella bestrichenen Pfannkuchen gewickelte Banane. Beides bereitet er in einer mobilen Küche am Strand zu und verkauft für je zwei Euro – reasonable price, wie der weltgewandte Nackerte sagt. Dirk serviert mit Hose, trägt große Sonnenbrille und blondierte Schneckerllocken.
Gerade nun hast Du also herzhaft in die glitschig-feuchte Nutella-Banane gebissen, ein brauner Tropfen fleckt auf Dein Knie, als wenige Meter vor Dir ein hagerer Typ des Wegs schlendert, der offenbar kürzlich einen Tagtraum hatte, in dem ihn irgendwas erregt hat…
Das ist nicht schön!
Stellen wir uns Playa del Inglés nun also kurz als das Paradies vor (wie ehemalige Urlauber, zurück am Nine-to-Five-Platz, ihren Hausstrand gerne bezeichnen). Adam ist schon eine ganze Weile herumspaziert. Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten, er mopst sich, isst zu viel, trinkt zu viel und bewegt sich zu wenig. Eines Morgens findet er nach dem Aufwachen auch noch eine hässliche Narbe am Rippenbogen. Dergestalt nun trifft er auf Eva. Die, aus einer Rippe geschnitzt, ist wenig mehr als Haut und Knochen – vernarbter Schmerbauch trifft auf anorektischen Zombie.
Da jubelt der Misanthrop: Frucht der Erkenntnis, Sündenfall! Und gleich wieder ausgestorben! Hurra: Thema erledigt.
Zum Glück trugen Adam wie Eva Feigenblätter. Sonst könnte Dirk heute seine Nutella-Bananen nicht verkaufen.