Scheiß auf die Nachrichten!
Jetzt ist schon wieder März. Das Jahr geht in seinen dritten Monat. Und es ist ein besonderes Jahr; jedenfalls für mich. Ich scheide Mitte Mai aus meinem aktiven Job aus und es wäre gelogen zu behaupten, dass mich das total happy macht.
Ich will aber nicht jammern, zumal ich glaube, dass es genau der richtige Zeitpunkt ist – aber es bleibt ein angenehmer Zufall.
Im Kino ist gerade Spotlight angelaufen, ein Film, der den Job des Journalisten preist. Ich habe eben die dritte (und bedauerlicherweise letzte) Staffel der HBO-Serie The Newsroom geschaut, eine TV-Serie aus der Feder des großartigen Aaron Sorkin (Hallo, Mr. President – 1995), die die hehren Werte des Journalismus‘ hoch hält. Werte, die im realen Alltag – naja, sagen wir mal: difundieren.
Die dritte Staffel beginnt mit dem Anschlag auf den Boston Marathon. Die erste Folge beschreibt, wie schwer sich die Redaktion des Nachrichtensenders ACN damit tut, die frische Nachricht on air zu formulieren, als noch gar keine gesicherten – also selbst recherchierten – Erkenntnisse vorliegen. Da zitiert die alarmierte „Digital“-Kollegin Hunderte Tweets, in denen Explosionen am Zieleinlauf beschrieben werden und dennoch bleibt die Produzentin der Nachrichten cool: „Ich werde Will (den Moderator) nicht sagen lassen Wahrscheinlich fand was Schlimmes in Boston statt, aber wir wissen nicht genau was.“ Und als die junge Redakteurin auf die große Zahl der Quellen – der Tweets – beharrt, ergänzt die Producerin: „Wir verlassen uns nicht auf Tweets von Zeugen, die wir nicht befragen können. Welche glaubwürdige Nachrichtenredaktion würde so etwas tun?“ In dem Moment geht Fox-News live auf Sendung – mit den halbgaren Informationen, die ACN nicht bringen will.
Weil sich Will McAvoy und sein ACN-Team strikt an die alt hergebrachte Arbeit halten, stürzen sie am Ende der Woche in der Zuschauergunst von Platz zwei auf Platz vier. Damit ist der Ton gelegt: Ehrliche, gut recherchierte – und damit teure – Nachrichten gegen den anschwellenden Strom von – billig zu bekommenden – Tweets in einer von Wirtschaftlichkeits-Faktoren dominierten Welt. Alt gegen Neu. Genauigkeit gegen Schnelligkeit. Moderne gegen Beharrung. Das ist klassisches US-Kino – oder mittlerweile eben auch US-Film für den Pay-TV-Content von HBO. So weit, so mäßig interessant.
Der Kinofilm Spotlight spaltet gerade die Kinogemeinde. Während der durchschnittliche Kinozuschauer den Film eher langweilig findet, weil er Antagonisten, dramaturgische Spitzen und, ganz allgemein, den Thrill vermisst, finden die Filmkritiker in den Redaktionen den Film großartig. Der Verdacht liegt nahe, dass sie ihn großartig finden, weil er ein Journalistenleben zeigt, das erstrebenswert scheint, aber so schon lange nicht mehr existiert – weil die Nachrichtenwelt getrieben wird von Twitter.
An dem Tag des Boston-Marathon-Attentats – 15. April 2013 – hatte ich Dienst in meiner Nachrichtenredaktion und natürlich hatten wir für diesen Fall einen Liveticker aufgesetzt. Wir Onliner waren nicht selber vor Ort, hatten auch nicht – wie die erfundenen Kollegen von ACN in der dritten Staffel von „The Newsroom“ – Zugriff auf den für unseren Sender eigens angereisten Reporter (der sich auf Schaltgespräche in allerlei Spezialsendungen meines Senders vorbereiten musste). Wir waren für diesen Liveticker auf die Nachrichtenagenturen angewiesen – dpa, reuters, afp, AP – und auf das, was die TV-Korrespondenten und -Reporter und Experten in Schaltgesprächen in den laufenden Sendungen meines Hauses zum Besten gaben.
Das war zu wenig. Der Liveticker brauchte mehr Bewegung … mehr Abwechslung. Und so war ich gezwungen, auch Informationen zu tickern, die nicht so richtig gesichert waren, die wir zur Not als Naja, wir haben ja nur eine Information des Mediums XY verbreitet hätten relativieren oder zurücknehmen können. Ich verließ mich auf Informationen – Tweets vergleichbar – die ich nicht befragen konnte.
Wir haben uns achtbar geschlagen – informationstechnisch. Grobe Schnitzer gab es – zum Glück – keine. Aber dieses Event machte mir deutlich, dass sich das Nachrichtengeschäft massiv verändert – und ich darin keine Rolle mehr spielen möchte.
Um im täglichen News-Strom wahr genommen zu werden, zählt die immer wieder neu formulierte Nachricht mehr als die tatsächlich neue Nachricht. Das mag seine Berechtigung haben vor dem Hintergrund, dass die neue Generation von News-Rezipienten News nur noch wahr nimmt, wenn sie auf dem Sperrbildschirm ihres Smartphones als Pushmeldung auftaucht – was dort nicht aufpoppt, findet nicht statt.
Am späten Abend dieses 15. April 2013 lud ich mir die aktuelle Ausgabe meiner Tageszeitung auf mein Tablet. Da las ich dann gebündelt all das, was es zu diesem Zeitpunkt zu dem Anschlag auf den Boston Marathon zu wissen gab. Das hat mir gereicht.
Und ich wusste: Auch morgen werde ich – gebündelt – alle Informationen in meiner Tageszeitung – immerhin in ihrer schicken, modernen Tablet-Version – finden. Wer aber braucht dann eigentlich dieses dauernde Gebimmel mit halbgaren Informationen, die in zwei Stunden schon wieder als falsch zu den Akten gelegt werden könnten? Wohin rauscht der Online-Journalismus? In die Beliebigkeit der Tweets?
Wird irgendwann eine Nachrichtenredaktion die Entschleunigung für sich als unique selling Proposition erkennen und also sagen: „Wer uns klickt, sucht nach den gesicherten Informationen, den Hintergründen. Weil er keine Zeit hat, selber den ganzen Tag Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.“ Denn dafür, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, sind wir in den Nachrichtenredaktionen doch eigentlich da.
Es ist ein guter Zeitpunkt, das aktuelle Nachrichtengeschäft zu verlassen. Denn Nachrichten sind kein Geschäft.