
Die Stadt im Hintergrund
Die Lady vom Motel in Merrill wollte heute Morgen wissen, ob ich nicht ein bisschen Heimweh hätte, wenn ich so lange unterwegs bin. Wir hatten gerade etwas Stress mit meiner Zimmertür gehabt, die sich nach dem Frühstück mit der Schlüsselkarte nicht mehr öffnen ließ. Wir waren kurz davor gewesen, den Schließapparat aufzubohren, als es geheimnisvoll Klick machte und die Tür aufging – muss der richtige Rhythmus beim Durchziehen der Karte durch den Schlitz gewesen sein, mutmaßten wir. Nein, für Heimweh sei ja eigentlich keine Zeit in diesem wunderschönen Land, sagte ich, da war sie ganz gerührt und wünschte mir eine sichere Reise.
Drei Stunden später checkte ich in Minneapolis, Minnesota ein. Eine Stadt, die wie Milwaukee bei mir in die Rubrik Name immer mal gehört, will ich mir mal angucken fällt. Tim Walz, der Vizepräsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, ist hier Gouverneur, deswegen stand der Name zuletzt wieder häufiger in der Zeitung. Walz‘ Arbeitsplatz ist in St. Paul. Die Hauptstadt Minnesotas (300.000 Einwohner) und Minneapolis (425.000 Einwohner) sind Nachbarstädte, nur 15 Kilometer auseinander, und werden gemeinhin als Twin Cities bezeichnet.
Charlie Brown und TAfkaP
Kulturhistorische Bedeutung haben beide Städte: in St. Paul ist Charles M. Schulz geboren, Erfinder der Peanuts um Charlie Brown und seinen Beagle Snoopy. In Minneapolis ist TAfkaP, The Artist formerly known as Prince und dann wieder als Prince bekannt, geboren, hat Bob Dylan als Teenager auf kleinen Studentenbühnen zu seinem Musikstil gefunden. Richard Dean Anderson, 1950 hier geboren, machte später als MacGyver in der gleichnamigen TV-Serie Karriere. Auch Peter Graves ist von hier. Einst Chef von Ethan Hunt in der TV-Serie „Mission Impossible“, später unsterblich geworden als jovialer Pilot in Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug (1980). Und natürlich die Drehbuch- und Regiebrüder Joel & Ethan Coen, die sich mit Filmen wie Fargo (1996) oder The Big Lebowski (1998) im Kino ein Denkmal gesetzt haben.
Außerdem genießen Minneapolis und St. Paul in der Welt der Kunst einen großen Namen. Es gibt zahllose Theaterbühnen, große und kleine, da machen sie New York City Konkurrenz. Und das Minneapolis Institute of Arts im Süden der Stadt beherbergt über 80.000 Ausstellungsstücke. „Newsweek“ bezeichnet das Walker Art Center als eines der besten zeitgenössischen Museen des Landes. Und da bin ich heute hin.
Ein Teelöffel für die Welt
Nicht ins Museum, aber ans Museum, gegenüber in den Sculptural Garden, in dem mehr als 30 Kunstwerke ausgestellt sind. Für mich sind solche Orte eine gute Möglichkeit, in einer Stadt anzukommen; das wird mir klar, als ich an Milwaukee denke. Dort steht zwar der beeindruckende Calatrava-Bau des Art Museum, ist aber nicht eingebunden in die Stadt, steht wie ein Solitair am Ufer des Sees, während die Stadt ihrem Alltag nachgeht.
Der Sculpture Garden in Minneapolis am Rand der Innenstadt wurde 1988 eröffnet, erfüllt aber auch heute die Bedürfnisse der Besucher: ein Park mit bunten Skulpturen und einem schönen Blick auf die Skyline – super für Selfies und jubelnde Familienfotos. Meistfotografiertes Werk im Park ist der „Spoonbridge and Cherry“-Brunnen von Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen.

Vom Park fuhr ich mit dem Bus nach Downtown an den Fluss. Da feierte ich ein kleines Wiedersehen mit dem Mississippi, der 45 Kilometer nördlich von hier im Lake Itasca entspringt. Ich bin ihm 1993 in den Südstaaten, wo er nach 3.778 Kilometern in den Golf von Mexiko mündet, erstmals begegnet.
Die größte Shopping Mall der USA
Geburtshelfer für Amerikas Schicksalsfluss, eine Kunst- und Kulturszene von Weltrang, eine lebenswerte Innenstadt mit Kneipen und viel Miteinander (letzteres ist Stadtmarketing-Lyrik im www); lebt hier eine Weltstadt im Verborgenen? Morgen und übermorgen will ich etwas genauer gucken, Innenstadt, Parkanlagen, Wasserfälle(!) und die Mall of America. Im Internet lese ich: Größte Shopping Mall der Vereinigten Staaten, 520 Geschäfte, 50 Restaurants, Kinos, das Minnesota Sea Aquarium und mittendrin der größte Indoor-Freizeitpark der USA.
Ich bin gespannt, ob das einen Shopping-Muffel wie mich beeindrucken kann. Für Heimweh jedenfalls ist da gerade kein Platz.



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