Snow Canyon bei Saint George, Utah
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Rote Erde

Liebes Tagebuch,
ich weiß nicht, was ich Dir heute erzählen soll. Ich bin so voller Eindrücke – Farben, Formen – die ich nicht beleidigen möchte, indem ich mich in diesen Adjektiven verliere wie „grandios“, „wundervoll“ oder diesem zur Sinnentleertheit totformulierte „atemberaubend“.

Also gut: Heute war Snow Canyon Nationalpark. Ein Park, den sich mein Reiseführer – lonely planet – komplett verkneift, kein Wort darüber; wahrscheinlich, weil er so klein ist. Was haben wir? Einen kleinen Canyon, eingerahmt von, so nennen sie das, versteinerten Sanddünen – petrified dunes. Rote Gesteinsformationen, die aussehen, wie Wellenmuster im Watt, wenn Ebbe ist. Steil, schräg, nicht immer gut einschätzbar, aber steinhart und trotzdem als Wanderweg markiert.

Schnee spielt hier keine Hauptrolle. Der Park trägt „Snow“ im Namen in Erinnerung an Lorenzo und Erastus Snow, zwei wichtige Vertreter der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (aka „Mormonen“), die hier Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt haben. Die Kirche unterhält in St. George einen großen, milchweißen Tempel und spielt in der Stadtgeschichte eine große Rolle.

Ich bin da hin, weil da Szenen mit Paul Newman und Robert Redford gedreht worden sind, wie sie als Butch Cassidy und Sundance Kid hier 1969 vor Söldnern flüchten, die die Eisenbahngesellschaft angeheuert hat, weil die die Schnauze voll hat, dass die beiden immer ihre Züge ausrauben. Beinahe meine ich, noch die Schrammen im roten Stein zu erkennen, die sie mit ihren Metallkappen im Absatz gehauen haben. Aber das ist natürlich Quatsch. Bei solchen Dreharbeiten in der Natur wird penibel darauf geachtet, dass auch nicht eine Schramme im Stein zurück bleibt. Je nachdem, was gedreht wird, sind anschließend Heerscharen von Produktionsassistenten tagelang damit beschäftigt, den Müll wieder einzusammeln, den so eine Produktion verursachen kann, und damit meine ich nicht den normalen Müll, also nicht die Styroporbecher und Plastikgabeln. Aber oft explodiert im Film was und dann müssen entsprechend Teile in der Landschaft verstreut werden. Oder es soll schneien, wo es nie schneit. Eine sonnige Landschaft von Kunstschnee zu befreien ist eine Strafarbeit.

Ein milchweiß strahlender Tempel in der Stadt

Auf dem Höhepunkt ihrer Flucht springen Butch und Sundance mit einem herzhaften „Scheiße!!!“ auf den Lippen über eine Klippe in einen reißenden Fluss. Diese Szene ihrer Flucht wurde nicht hier im Snow Canyon gedreht. Hier gibt es keinen Fluss. Hier gibt es nur einen Canyon, der in allen Schattierungen von Rot schimmert. Die Filmindustrie sah genug Potenzial, dass erst Redford zweimal wiederkam und als Jeremiah Johnson und als Elektrischer Reiter vor der Kamera stand, Michael Douglas hier den Grünen Diamanten suchte und Steven Spielberg mit seinem ersten Jurassic Park Station machte.

15 Dollar kostet das Tagesticket für den Park. In den zurückliegenden Wochen habe ich stets 25 Dollar bezahlt und darf dafür jetzt ein Jahr kostenlos parken und hinein zu den Präsidentenköpfen in South Dakota, dem Tafelberg in Wyoming und den Naturschönheiten Maines. Es führt eine Straße durch den Park parallel zum Snow Canyon, die nach wenigen Meilen schon wieder auf den Ausgang trifft. Dazwischen liegen ein paar Parkplätze, von denen sich Wanderwege mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden in den Canyon entfalten – das ist wie im Skiurlaub: „easy“ sind blaue Pisten, „moderate“ sind rote Pisten und die schwarzen werden mit „difficult“ beschrieben.

Snow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahChristoph im Snow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahSnow Canyon bei Saint George, UtahTempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Saint George, Utah, errichtet 1877Kneipe Local brewed beer in
Im Snow Canyon State Park
Im Snow Canyon State Park
Im Snow Canyon State Park
Tempel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Saint George
Kneipe „George’s Corner“ in Saint George
Local brewed beer in „George’s Corner“

Mir muss der gestrige Tag mit der langen Autofahrt in den Gliedern gesteckt haben. Als ich den Park am Nachmittag wieder verließ, hatte ich viereinhalb Stunden zu Fuß über versteinerte Sanddünen und mir Furcht einflößende Abhänge, über Sand und Asphalt, über easy, moderate und difficult hinter mir und einen leichten Sonnenbrand. Kein Wunder, ich war unter wolkenlosem Himmel im Polohemd unterwegs. Auch Touristen waren wenige zugegen; eine Zeit lang hatte ich es auf meinem Pfad mit einer sehr lebhaften siebten Klasse zu tun, die irgendwann in einer Lavahöhle verschwand, um dort wahrscheinlich dem Bildungsauftrag einer solchen Exkursion nachzukommen. Mir gab das Gelegenheit, einen sonnigen Chat mit zwei der Lehrerinnen zu führen, die an der Oberfläche geblieben waren, um alle vorbei defilierenden Wanderer auf die lautstarke Horde der Kinder in der Höhle aufmerksam zu machen – also eigentlich, um sie vor der lauten Horde zu warnen.

Die Freuden des Small Talks

Ich gab zu, dass mich die Schülerinnen und Schüler zunächst erschreckt hätten, mir dann aber schnell einfiel, dass meine Nachbarn mich auch nicht sonderlich mochten, als ich 13 war. Auf der Straße war ich ein sehr lautes Kind. Das gefiel den Lehrerinnen und daraus entwickelte sich ein nettes Woher kommst Du Wohin gehst Du-Gespräch mit vielen Abzweigungen, weil die eine Deutsch unterrichtet und sogar Mainz kennt. Solche Gespräche habe ich oft auf meiner Reise und sie tun mir gut. Tatsächlich fehlt mir hin und wieder jemand, mit dem ich über die fremden Eindrücke, die dauernd auf mich einprasseln, sprechen kann; anstatt mich über irgendwas zu ärgern, einfach mit jemandem darüber abzulachen. Da kann ich also in kurzen Gesprächen, wie dem mit den Lehrerinnen heute, mein Englisch schleifen, erzählen, dass ich aus Germany komme und in New York gestartet bin und meinen Trip in Los Angeles beenden werde, wo ich dazwischen überall war und was mir an komischen Sachen passiert ist. Das Schöne an Amerikanern, vor allem aber Amerikanerinnen ist, dass sie glaubhaft jede Erzählung mit dem Ausdruck des größten Wow quittieren, Dir immer das Gefühl geben, dass Du sie keine Sekunde langweilst.

Ich habe meinen Aufenthalt in St. George um einen Tag verlängert. Ich bin hier noch nicht fertig, muss doch noch den zweiten Nationalpark besuchen, bevor ich dann weiterfahre, um einen dritten zu besuchen, einen vierten und dann den Grand Canyon.

So, liebes Tagebuch, Du siehst, die Schönheit dieses Tages lässt sich nicht in adäquaten Worten formulieren. Es gibt Orte auf der Welt, da muss man einfach mittendrin stehen. Alles andere ist Bla Bla.

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