Gesichter in Felsen
Ich beneide die Menschen, die mir entgegenkommen. Die haben den Aufstieg hinter sich und den Bogen schon gesehen. Ich würde gerne fragen, wie weit der Weg noch ist und ob noch viele solche Steigungen kommen. Aber ich traue mich nicht.
Die Warnungen waren ja deutlich auf den Tafeln und im Folder mit der Karte des Nationalparks, den ich am Eingang bekommen habe: Es müssen über zweieinhalb Kilometer 500 Fuß Höhe erklommen werden (153 Meter) über teils unwegsame Strecke, „steep, exposed slopes“ und kein Schatten. Steile Hänge also. Kaum Wegmarkierungen. So genau hatte ich das nicht übersetzt, steep und exposed hatte ich in Snow Canyon und Zion National Park auch gelesen und dann bewandert. Es gäbe Menschen, die bräuchten für diese Strecke drei Stunden, steht auf dem Schild am Eingang zum Pfad. Dann wäre es sechs Uhr abends, bis ich oben bin, stockfinster und ich verloren in der Wildnis.
Ich bin dann mal losmarschiert. Kein Schatten war nicht schlimm. Im Gegenteil. Zwar war wieder keine Wolke am Himmel, aber nur 9 Grad Celsius, da war ich über wärmende Sonnenstrahlen ganz dankbar; und den auf dem Eingangsschild geforderten Liter Wasser hatte ich auch im Rucksack.
Was kommt nach der unendlich hohen Petrified Dune?
Es ließ sich gut an. Bis ich am Horizont nach ersten moderaten, aber sich schon ziehenden Steigungen eine große, steinernde Fläche erkannte, auf der sich Menschen bewegten. Dahin führte offensichtlich mein Weg. Es handelt sich um Petrified Dunes, wie ich vor drei Tagen im Snow Canyon schon kleinere mit Mühe erklommen hatte. Und jetzt also eine sehr große. Die Schwierigkeit bei solchen Sandsteindünen ist nicht ihre Steigung – unter meinen Wanderschuhen habe ich griffige Sohlen, wegrutschen werde ich nicht. Die Schwierigkeit ist, dass mich auch griffige Sohlen nicht vor einem Fehltritt bewahren mit verstauchtem Knöchel oder Schlimmerem zur Folge. Aber nun war ich schon mal unterwegs, hatte, bis ich an diesen Felsen komme, noch viel Zeit, mir vorzustellen, was da alles passieren kann (wie der Delinquent, dem der Folterknecht seine Werkzeuge zeigt), beneidete die mir Entgegenkommenden, wunderte mich über Eltern, die ihre Zehnjährigen auf so einen Stunt schicken, wobei dann die Zehnjährigen auf diesem Felsen herum hüpften wie Gemsen.
Am Gipfel des Felsens, der nur eine Zwischenstation ist, gab ich mir drei Minuten – Puls runterbringen, Atmung kontrollieren, ruuuhiig. Ich hatte zwar wenig Rudertraining im ablaufenden Jahr, fühlte mich aber fit genug, wusste allerdings nicht, was mich an Strecke und Höhe noch erwartet – es wurden dann ein Kilometer tiefer Sand, hohe Steine, die mit großem Tritt erklettert werden müssen und manchmal unklare Wege.
Ein äußerst seltener Moment
Und dann kam dieser Moment. In meinem Leben gab’s den selten. Ich weiß, dass ich den am Petersplatz hatte, als ich da 1978 zum ersten Mal drauf lief und vor diesem gigantischen Dom stand. In meinem Kopf dröhnten Fanfaren, Jubelchöre. Ich ging einen schmalen Felsweg entlang, rechts eine Wand, links ein tiefer Abgrund. Mir kamen Leute entgegen. Dann waren die Leute weg, die Wand rechts hörte auf, die Sonne stand tief und tauchte die Szenerie in warme Farben. Ich stand auf einem abschüssigen Plateau vor einem großen Steinbogen über einer Schlucht, dem Delicate Arch, dem Ziel meiner zurückliegenden Mühen.
Nun ist der Delicate Arch 2024 schwer zu vergleichen mit dem Petersdom 1978. Wenn man den Namen googelt, kann man sich vor Bildern von diesem Steinbogen in allen Sonnenständen – vormittags, nachmittags, nachts – gar nicht retten. Aber als ich dann davor stand, vor allem auch nach diesem steinernen Aufstieg (in übrigens passablen 40 Minuten), nach dem jetzt die Endorphine tobten … ohne Worte. Also habe ich mich auf den Felsboden gesetzt und geguckt.
Filme sind gerade nicht so wichtig
Ich wusste im Hintergrund, dass um kurz nach fünf Uhr die Sonne untergeht und ich dann ganz gerne wieder in ebenen Gefilden wäre, ich hier also nur knapp 20 Minuten hatte. Aber zum Gucken reicht das ja. Zumal überraschend wenig andere Touristen da waren – also so um die 30, wo sich in der Hochsaison Hunderte tummeln sollen. Der Zarte Bogen im Licht der tief stehenden Sonne, keine Wolke am Himmel, am Horizont schneebedeckte Berge, dazwischen eine tiefe Schlucht mit weiteren dieser verrückten Felsformationen, für die die Gegend hier bekannt ist. Das war wie Pink Floyd in ihren besten Zeiten, „Atom Heart Mother“, „Dark Side of the Moon“ und „Wish You were here“ als Felsenlandschaft.
Ein Film ist hier oben meines Wissens nach noch nicht gedreht worden; unten im Park so einige. Ich hatte schon Thelma & Louise erwähnt, die unten an den Courthouse Towers einen Polizisten, der sie kontrolliert, außer Gefecht setzen, in den Kofferraum seines Autos werfen und – Gipfel der Entmannung – ihm seine Polizistensonnenbrille klauen. Aber als ich da oben vor dem Zarten Bogen sitze, sind die hier gedrehten Filme alle nicht so wichtig. Also, die Filme schon, aber die Drehorte nicht so.
Erlebnis ohne Worte
Der Nationalpark mit dem kurzen und prägnanten Namen „Arches“ ist ein Traum. Dessen weitere Beschreibung ich mir spare. So viele Wörter wie nötig wären, um zu umschreiben, was ich mit präzisen Worten nicht fassen kann, käme einem Tritt vors Schienbein der Natur gleich, die sich hier seit Jahrtausenden aufs Schönste austobt. Es gibt hier die ulkigsten Felsenfiguren, natürlich viele dieser rätselhaften Felsen-Bögen, die dem Park seinen Namen geben, aber auch Felsen, die mit zunehmender Dauer, die ich im Park herumfahre und -wandere (man kann hier beides aufs Wunderbarste verknüpfen), ein Gesicht bekommen. Da ist eine Frau in einfachem Tuch mit Korb unterm Arm, dort sitzen Richter und Geschworene auf einer Richterbank, da hinten stehen die heiligen drei Könige, die hier Three Gossips heißen, drei Klatschtanten. Ich fahre an einem wiederkäuenden Reittier aus einer Fantasywelt vorbei, über einem der Arches verbeißen sich zwei Veloziraptoren ineinander, eine gigantische Hand aus fünf Felsentürmen winkt mir zu und plötzlich stehe ich neben dem Oberkiefer eines gigantischen Krokodils, das sich gleich aus dem Staub, in dem es sich versteckt hat, erheben wird. Der Delicate Arch sieht aus wie eine Hüfte auf zwei muskulösen, noch in Kampfstellung verharrenden Beinen, die mal zu einem kompletten, sehr monströsen Kämpfer gehört haben müssen.
Ich war pünktlich mit Sonnenuntergang um kurz nach fünf wieder an meinem Auto. Auf dem Weg zurück, der unwesentlich leichter als der Aufstieg, jetzt aber von Endorphinen gepolstert war, kamen mir zahlreiche Menschen entgegen. Auf meine Frage, ob sie da oben am Delicate Arch Sternenhimmel in spektakulär sehen wollten, sagten sie, nein, sie hofften, noch ein bisschen Abendsonne zu erhaschen. Das würden sie nicht mehr schaffen, ich wünschte ihnen Glück.
Es soll nochmal ein ganz eigenes Erlebnis sein, hier nachts im Nationalpark, in dem bis auf den ein oder anderen Autoscheinwerfer nichts leuchtet, in die Sterne zu gucken. Für mich kommt das nicht mehr in Frage, allein in stockfinsterer Nacht mit Taschenlampe durch knöchelgefährdendes Gelände zu stapfen, da können die Sterne noch so schön sein. Aber die Gruppen, die mir da entgegenkamen, waren eher so in ihren 20er und 30er Jahren, manche tänzelten den Weg hoch; für die ist so ein Sternenzelt sicher gorgeous und unbelievable. Irgendwann später spazieren sie dann wieder runter vom Berg.
Ich erhaschte gerade noch ein paar Felsenbögen, die der untergegangenen Sonne hinterher winkten, und verließ unter einem gelbschwarzorangen strahlenden Himmel diesen erstaunlichen Nationalpark.
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