Bob Ross was here
„Das sieht aus wie ein Gemälde in Öl“, sagt die junge Frau, die mir auf dem Trail entgegenkommt, wo sie gerade ein Foto gemacht hat. „Ja“, bestätige ich, „die Dramatik der Landschaft erinnert an Bilder von Bob Ross“. Sie lacht laut. Bob Ross, längst gestorben, aber als Maler mal melancholischer, mal unheimlicher, mal dramatischer Landschaften im Nachtprogramm unsterblich geworden, kennt wirklich jeder.
Ich bin im Zion Canyon und lerne im letzten Viertel meiner Reise, dass es günstige Jahrespässe für Nationalparks gibt. Der Ranger an der Schranke beim Einlass fragte einfach, ob ich noch weitere Nationalparks besuchen werde und ich zählte fröhlich auf: „Gestern Snow, heute Zion, übermorgen Arches, dann noch Monument Valley und Grand Canyon.“ „Wissen Sie, dass es eine Jahrespass gibt für 80 Dollar? Mit dem kommen Sie ein Jahr lang in jeden Nationalpark. Ich meine, sie sparen da ein wenig Geld in den nächsten Parks“, sagte der Ranger. Angesichts der 35 Dollar, die ich hier und in den kommenden Nationalparks aufwenden werde, kann ich dem Mann nur recht geben und kaufte den Jahrespass. Ich erinnere mich, dass mir damals die Lady am Acadia Nationalpark im Norden Maines auch eine Jahreskarte anbot, was ich missverstand als eine Karte, mit der ich ein Jahr lang in diesen einen Park kommen könnte. Damals war ich noch zu sehr mit meinem Englisch beschäftigt, um zu verstehen, was sie wirklich sagte.
240 Kilometer Wanderwege
Besonders aufregend war das, was mir der Zion Park dann bot, erstmal nicht. Aber ich war auch, kaum angekommen, schon gestresst. Weil es keinen Parkplatz gab und mich die Aussicht, in Springdale, dem Hotel- und Motel-Örtchen vor dem Park, zu parken, um von dort mit dem Shuttlebus in den Nationalpark hinein zu fahren, nicht besonders fröhlich machte – ich und die Suche nach Parkplätzen, das wird in diesem Leben nichts mehr. Dafür konnte aber der Nationalpark nichts und man sollte dazu sagen, dass es wohl nur um die 450 Parkplätze im Park insgesamt gibt – für die Mitarbeiter und die vielen tausend Besucher, die da in der Hochsaison täglich kommen.
1999 hat die Leitung des Parks den täglichen Krieg von Autos, Wohnmobilen und Reisebussen um die wenigen Stellplätze kurzerhand beendet, den Scenic Drive für private Autos geschlossen und ein Shuttlebus-Service eingerichtet. Vom Visitor Center fährt seitdem regelmäßig ein Bus bis an den obersten Wanderweg, wo man aussteigen kann, aber nicht muss. Auf dem Rückweg nämlich hält der Bus an acht Stationen, wo er Wanderer einsammelt, die zurück zum Visitor Center oder zu einem anderen Wanderweg wollen, und Passagiere rauslässt, die ihre Wanderung hier starten wollen – verschiedenste Wanderwege, 240 Kilometer alle zusammen, sind natürlich im Faltblatt, das ich bei der Einfahrt in den Park erhalte, beschrieben, wieder inklusive dem Hinweis „leicht“, „moderat“, „anspruchsvoll“. Weil auch dieser Service noch nicht reichte, um das Autochaos im Park zu beseitigen, gibt es zusätzlich noch den Shuttleservice aus Springdale, in dem 80 Prozent der Parkbesucher in Hotels unterkommen. Eigentlich alles ganz einfach, aber ich war nach der einstündigen Fahrt von St. George hierher nicht auf Busse fernab meines Autos, in dem ich immer alles nah bei mir habe, eingerichtet. Ich brauche dann immer ein bisschen Zeit, um mich auf die neue Situation einzustellen.
Der Schönheit steht ein fehlender Parkplatz im Weg
Aber diese Zeit fiel nun in meinen ersten Wanderweg. Man könnte sagen, die spektakulären Felswände, die links und rechts des Virgin River, an dem ich entlang spazierte, in den Himmel wuchsen, schrumpften (sehr zu Unrecht) unter meiner Akklimatisierung. Hinzu kam, dass es – für meine Verhältnisse – ungewöhnlich voll war. In den vergangenen Wochen hatte ich es mit schönem Wetter und wenig Touristen zu tun. Heute hatte ich es wieder mit schönem Wetter, aber, Freitag, mit ganz vielen Touristen zu tun, die auch Parkplätze brauchen und nun um mich herumwuselten mit Kindern und Erzählungen über missliebe Kollegen und Schwiegerelternprobleme. Viele gingen in Anglerhosen, weil sie in die Narrows wollten. Das sind enge Schluchten innerhalb des Canyons, bei denen man ordentlich durch Wasser watet und – jedenfalls im Sommer – auch zwei Tage unterwegs ist mit Camping und allem Drum und Dran. An dem Punkt, an dem es für die Anglerhosen ins Wasser geht, drehte ich um, so wie auch die Eltern mit den quengelnden Kindern und die mit den Schwiegerelternproblemen.
Ich fand im Faltblatt den „Kayenta Trail“, der mir mit „2 hrs.“ und „moderat“ gangbar erschien. Und gleich mit steilen, in den Fels gehauenen Stufen begann. „Na ja, ich kann ja umdrehen, wenn das so bleibt“, sagte ich und ging los. Und dann entfaltete sich der Irrsinn einer in Schönheit gelassener Natur.
Jetzt wanderte ich auf halber Höhe an Felswänden entlang, rechts die Wand, unter mir Sand oder sandiger Stein, links Kakteen und der Abgrund – nicht steil, aber stolpern und viele Meter haltlos den Abhang runter rutschen, ich glaube, da wären die Kaktusstacheln das geringste Problem. Egal, ich bin ja nicht gestolpert. Obwohl es dafür allerlei Gründe gegeben hätte. Bei solchen Wegen muss man eigentlich dauernd auf den Boden vor sich starren – Stolperfallen, Schlaglöcher, entgegenkommende Wanderer. Aber natürlich starrte ich dauernd in die Landschaft, die eine Mischung aus Skull Island, Isla Nublar und Robinson Crusoe bot. Und zwar im minütlichen Wechsel. Die Perspektiven in dieser Felswanderung ändern sich dauernd, weil man im Fels um ein Tal herumwandert und kraxelt, in dem ein Flüsslein plätschert und Bäume in der Nachmittagssonne leuchten, in der Ferne die Felsen verdunsten und zwischendrin ein kleiner Wasserfall eine Gumpe versorgt. Die Parkbetreiber nennen die Gumpen Emerald Pools und warnen bei jeder Gelegenheit davor, darin zu schwimmen. Dafür war es aber eh zu kalt.
In andächtiges Staunen vertieft
„Zion“ bedeutet im Hebräischen sowas wie Zufluchtsort oder Heiligtum. Das benutzen auch die mormonischen Siedler in Utah, die sich um 1858 in der Gegend ansiedelten. Sie bauten Zuckerrohr und Tabak an, was aber, anders als der Name des Canyons, nichts von Dauer wurde. Die Canyons sind aus 170 Millionen Jahre altem braunen bis orangeroten Sandstein entstanden. Auf meinem Weg durch diese Naturschönheit traf ich kaum noch auf Touristen. Und die wenigen, die mir begegneten, waren ähnlich andächtig mit Staunen beschäftigt, wie ich. Ich war drauf und dran um noch einen Tag zu verlängern, um weitere Wege durch diesen grandiosen Kosmos zu erleben. Aber es warten ja noch weitere Parks auf mich.
Später am Abend, als ich zum zweiten Mal in Folge in George’s Corner saß, einer Kneipe mit Flair, angenehm unaufdringlichem Personal und knackigem Essen, und mit Barfrau Sadie über die Schönheiten der Nationalparks simpelte, wurde mir klar: So schöne Bilder, wie ich sie heute gesehen habe, hat Bob Ross nie gemalt.
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