Christoph geht auf dem Highway 163 Richtung Monument Valley
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Valley revisited

Ich bin nicht der einzige, der in bunten Felsen Gesichter, Kreaturen oder Marktfrauen entdeckt. Die Navajo sehen die auch. Arthur – oder lieber Art – ein Navajo, der mich am Nachmittag durchs Monument Valley führt, zeigt mir einen Elefanten, ein Kamel, einen schlafenden Snoopy auf seinem Dach, drei Schwestern, einen Hahn, einen in eine Decke eingehüllten, sitzenden Mann, einen Drachen, der sein Haupt am Boden bettet, einen nach oben gereckten Daumen, der, wenn man halb um ihn herumfährt aussieht, wie ein Stiefel, „We call it John Wayne’s Boot“, sagt Art.

John Ford's Point
John Ford Point, im Vordergrund links neben dem Schild

Drei Stunden fährt er mich herum, zeigt mir Bereiche, in die man ohne Begleitung nicht hineinkommt. Zum Beispiel den John Ford Point, eine Anhöhe, die ein bisschen an die Zeremonienbühne im König der Löwen erinnert. Sie heißt so, weil der der Regisseur dort besonders gerne seine Kamera platzierte, weil er von hier große Totalen von tobenden Reiterhorden drehen konnte. Ich sitze in einem Hogan – dem traditionellen Wohn- und Zeremoniengebäude der Navajo-Indianer, kuppelförmig, aus Holzstämmen gezimmert – bei einer Navajo, die mir erläutert, wie das Leben der Navajo – Männer draußen, Frauen drinnen – bis ins 20. Jahrhundert ablief, wie sie Schafwolle widerstandsfähig machten und wasserabweisend hielten, wie sie dem kargen Boden Früchte abpressten, wie aus Tauschgeschäften – gewebte Decke gegen Saatgut etwa – Münzen wurden und wie mit den Weißen die Scheine kamen. Dass Navajo von Kindesbeinen an lernen, sich nie die Haare abzuschneiden, weil darin die Weisheit wächst – bis die Weißen sie zwangen, ihre Kinder in die Schule zu schicken und dafür müssten bitteschön diese langen Haare weg.

Das Thema mit meiner Ehefrau

Dass ich eine Exklusiv-Führung durchs Valley bekomme, liegt schon wieder an der Jahreszeit. So ohne Wolke am Himmel sieht es zwar aus wie Sommer – der sich auf der nackten Haut wie echter Spätherbst anfühlt – aber es sind wenige Touristen da; außer mir hat sich niemand für die Tour gemeldet. In den drei Stunden gibt mir Art einen Crashkurs in die Lebensweise und die politische Struktur der Navajo. Ich verstehe nicht jedes Wort, einmal überlege ich noch, was nun Kissen – „Pillow“ – mit dem Thema zu tun haben könnten, als mir klar wird, dass Art von „Pillar“, Säulen, spricht – da ist er schon vier Sätze weiter.

Dann fragt er mich offen, wo denn meine Frau sei. Als ich ihm sage, dass ich alleine reise, halte ich das Thema für erledigt. Nicht so Art – wenn ich seine Erzählung vorher richtig verstanden habe, ist ein Navajo nur unbeweibt, wenn die Frau kürzlich verstorben ist. Und weil wir hier so gemütlich zu zweit im Auto sitzen, quasi also privat, hakt er nach. Warum ich keine gefunden hätte? Und hätte mich keine Frau gefunden? Es ist ein Eiertanz, in fremder Sprache einem offensichtlich anders sozialisierten Mann mein Singledasein, das in seiner Welt nicht vorzukommen scheint, zu erklären, ohne der Einfachheit halber in chauvinistische Plattitüden zu verfallen.

Lauter Irre am Highway 163

Der Tag hatte früh und mit Alexa aus New York begonnen. Um kurz vor sechs hatte mein Wecker geklingelt, um kurz nach sieben war Sonnenaufgang, um kurz vor halb acht stand ich am Highway 163 wieder an dem Punkt, an dem Forrest Gump mit seinem wochenlangen Dauerlaufen aufgehört hatte. Und mit mir noch einige andere. Uns einte das Ziel, diese Szenerie mit dem Highway, der in die Tafelberge führt, kurz nach Sonnenaufgang zu fotografieren. Die Bilder, die ich gestern gemacht hatte, waren im frühnachmittäglichen Dunst entstanden und entsprechend grau meliert. Farbige Berge sind natürlich schöner.

Highway 163Alexa aus new YorkHighway 163Monument ValleyThe HandThe ElephantMonument ValleyWest Mitten ButteSitting ManThe Totem Pole (links)Ähnelt dem Gehörgang, daher Dämmerung im Monument ValleySunset im Monument ValleyMonuments
Highway 163 um 7.30 Uhr
Have a save Travel, Alexa!
Highway 163 um 7.50 Uhr
West Mitten Butte, East Mitten Butte und Merrick Butte
The Hand
The Elephant
Monument Valley
West Mitten Butte
Sitting Man – in eine Decke gehüllt
The Totem Pole (links)
Ähnelt dem Gehörgang, daher „Ear of the Wind“
Dämmerung im Monument Valley
Sunset im Valley
Monuments

Die Verkehrsbehörden haben über die Jahre verstanden, dass es Leute wie mich wie Sand am Meer gibt, Leute, die sich auf den Mittelstreifen eines Highway stellen, um das Foto eines Motivs zu machen, das sie aus einem Film kennen – oder weil’s im Sonnenaufgang gar so schön aussieht und Millionen anderer Reisender es auch schon in ihrem Instagram-Kanal gepostet haben. Also haben die Behörden über eine Strecke von etwa zehn Meilen am 163er rund um den „Forrest Gump Point“, der wirklich so heißt, das Speed Limit auf 45 Mph runtergesetzt, gelbe Hinweisschilder „Watch for Pedestrians“ aufgestellt und alle paar hundert Meter links und rechts Haltebuchten für Fahrzeuge eingerichtet – wenn man die Irren schon nicht zähmen kann, muss man sie und die Autofahrer so gut es eben geht voreinander beschützen.

Alexa nimmt zwei Jahre Auszeit

In meine Haltebucht gesellte sich Alexa, die mich, als ich noch überlegte, ob ich jetzt Good Morning oder How are You oder gar nichts sagen sollte, fragte, ob sie mich fotografieren solle. Dieser knappe Pragmatismus machte ihre wahrscheinliche Herkunft schon deutlich: Mann mit Fotoapparat an einem Foto-Hotspot! Früher oder später macht er ein Selfie! Wenn ich ihm helfe, hilft er mir auch. Und tatsächlich, sie kommt aus New York, hatte gerade länger in Dänemark gelebt, befindet sich seit sieben Monaten auf einer zweijährigen Auszeit rund und die Welt, wobei sie überlegt, ob sie, bevor sie den asiatisch-pazifischen Raum in Angriff nimmt, erst nochmal nach New York zurückkehrt. Aber davor Mittel- und Südamerika bis Feuerland. Mir sind hin und wieder Reisende auf Langzeittour begegnet, zuletzt am Delicate Arch ein Österreicher, der mit seiner Honda aus Alaska über Kanada gekommen und ebenfalls Richtung Südamerika unterwegs ist. Diese Leute eint, dass sie schnell ins Erzählen kommen – Kontakte knüpfen, oder auch nur mal ein freundlicher Schnack ist wichtig unterwegs.

Alexa und ich nutzten die Gunst des Moments und halfen uns beim Fotografieren. Wenn sie mitten auf der Straße stand, hielt ich den (sehr, sehr dünnen) Verkehr im Auge und umgekehrt. Und natürlich fotografierten wir uns auch gegenseitig. Als sie sah, dass ich auch noch ein paar Filmaufnahmen machte, fiel ihr ein, dass sie die ja eigentlich lassen wollte. Das sei so viel Aufwand mit dem Schneiden und so. „But I think … about Social Media, You know?“ Sie holte ihr Stativ aus ihrem Wohnmobil, stellte es mitten auf die Fahrbahn und machte Joggingaufnahmen von sich. Nach einer Stunde verabschiedeten wir uns, „Have a save travel“, und fuhren unserer Wege. Sie nach Süden, ich ins Monument Valley hinein.

Der Boden … verschwindet

Das Valley ist kein Tal, aus dem kantige Riesenfelsen herausragen. Eigentlich ist es das Gegenteil: ein abgesackter Boden, der Reste gelassen hat. Genau genommen ist die Tafel der bis zu 300 Meter hohen Tafelberge mal das Grundniveau der ganzen Gegend gewesen, das Nulllevel – das aber auch mal 500 Meter tiefer gelegen hat.

Begonnen hat das Ganze vor 230 Millionen Jahren – zum Vergleich: Dinosaurier waren vor 65 Millionen Jahren. Da war das hier mal, was Geologen ein Tieflandbecken nennen. Darin sammelten sich über viele Millionen Jahre Sedimente aus den frühen Rocky Mountains und wurden zu Kalk- und Sandstein. Das Tieflandbecken wuchs in die Höhe. Und wuchs. Beim Wachsen half zudem noch Druck aus dem Inneren der Erde. Aus dem einstigen Tieflandbecken wurde ein mehr als 2000 Meter hohes Felsplateau. Das dann 50 Millionen Jahre lang erodierte. Wind, Regen, Hitze, Kälte schälten die Oberfläche des Plateaus zurück. Weiche Steinschichten verschwanden, harte blieben stehen. Ist das irre? In 230 Millionen Jahren sieht das hier komplett anders aus! Eigentlich müsste Utah die meisten Geologen pro 100.000 Einwohner hervorbringen, so spannend, wie sich die Erdgeschichte in diesem Bundesstaat präsentiert: Bögen aus Fels? Berggipfel, die Überreste eines verschwundenen Bodens sind?

Blick ins Monument Valley

„Die Natur ist eine grandiose Künstlerin!“ sagte ich. Dieser Erkenntnis stimmte Art, der mit der Natur aufgewachsene Navajo, mit ernstem Kopfnicken zu und erzählte, dass Navajo alles und jedem einen Namen geben, auch einfachen Steinformationen. Nichts sei einfach so da.

Damit war das Frauenthema beendet.

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