Hallo, Mr. President
Es ist vieles beeindruckend in diesem Land. Auch die Präsidentenköpfe am Mount Rushmore sind imposant. Allein die Vorstellung, dass da ein Bildhauer zusammen mit rund 400 Arbeitern über 14 Jahre – immer in den Sommermonaten – diese Gesichter in den Granit der Berge gesprengt, gehauen und gemeißelt hat. Und eigentlich sollten die Figuren bis zur Hüfte ausgearbeitet werden. Aber da hat das Geld dann nicht mehr gereicht.
Da stehe ich dann heute davor und denke Wow. Jetzt mal der echte Mount! Ich habe ihn schon so oft gesehen. Auf Fotos, in Filmen natürlich; ich sehe Cary Grant und Eva-Marie Saint In Der unsichtbare Dritte auf der Flucht vor Martin Landau über Präsidentennasen und Theodore Roosevelts Brille klettern – das waren natürlich Kopien im Filmstudio, aber egal. Die Marsianer aus Tim Burtons Mars Attacks! gestalten den Berg mit ihren Lasern ein wenig um. Am Ende starren vier Mars-Gesichter aus dem Fels.
Den Berg kannte ich zudem schon, als ich von Präsidentenköpfen noch gar nichts wusste. Mein Bruder hatte das Album „Deep Purple in Rock“, da stellen auf dem Plattencover die in Granit gemeißelten Gesichter die Bandmitglieder dar; die Doppeldeutigkeit „in Rock“ im Titel hatte ich früher begriffen, als den Ursprung des Coverdesigns.
Die Sonne scheint zur falschen Zeit
Nun stand ich also davor, um mich rum vielleicht noch 20 andere Touristen – Familien zumeist, einzelne Paare. Es ist Anfang November, da wird es an den Monumenten merklich ruhiger. Auch Keystone, die Partymeile am Fuß des Felsens, ein Ort, der aus Hotels, Inns, Motels, Wildwasserrutsche, Dinosaurier-Ausstellung, Hubschrauber-Anbieter und allem anderen besteht, was aus maximal vier Stunden Granitpräsidenten gucken ein mehrtägiges Event für die ganze Familie machen soll, liegt schon wie verlassen da.
Ich guckte da also hoch und versuchte, mir die Monsterarbeit vorzustellen, diese Bilder zu schaffen. Dafür wäre ich gerne auch ein wenig rumspaziert. Ging aber nicht. Man hat an dieser Historic Landmark genau diesen einen Platz, an dem man auf die Präsidenten gucken kann. Man kann da nicht spazieren gehen, sich vielleicht die Präsidenten mal von der Seite angucken. Und weil die Bildhauer einen Fehler gemacht haben, nämlich die Köpfe so in den Berg zu hauen, dass sie von der Morgensonne bestrahlt werden, während sie am gut besuchten Nachmittag in George Washingtons Schatten verblassen, schlug auch der Zauber einer solchen Handwerkskunst keine rechten Funken. Ich war irgendwie nur pflichtschuldigst beeindruckt.
Leben in den Great Plains
Mehr beeindruckt bin ich von dem Land hier oben, South Dakota und Wyoming, Teil der Great Plains. Schon gestern war ich von der Weite berauscht. Und als ich heute Morgen ins Auto stieg, ging das einfach so weiter: eine schnurgerade Straße, jetzt eine welligere Landschaft; und sonst nichts. Ach doch: Irgendwo kommt mal eine Kreuzung, wo wir auf einen Nord-Süd-Highway treffen. Das ist aber ganz unspektakulär. Kein gigantisches Autobahnkreuz, sondern einfach zwei graue Asphaltbänder, die sich irgendwo in der gelbbraunen Landschaft kreuzen.
Die Plains beginnen im südlichen Kanada und ziehen sich längs durch die ganzen USA, von Montana, Wyoming, den beiden Dakotas und Nebraska im Norden über Kansas, Oklahoma, New Mexico und Texas nach Süden. Ackerbau oder Viehzucht. Das sind grob gesagt die Einkommensquellen. Vor rund 170, 180 Jahren sind hier die Siedlertrecks entlang gerumpelt, die wir aus den Western mit James Stewart oder John Wayne kennen. Da müssen die Trecks dann immer vor Indianern beschützt werden, die noch heute hauptsächlich hier leben.
Die unschöne Seite des Westens
Im 19. Jahrhundert zogen Lakota und Comanchen hier den Büffelherden nach, bauten ihre Lager mit Tipi-Zelten auf und wieder ab, wenn die Büffel weiterzogen. Dann kamen die Siedler, rotteten die Büffelherden beinahe aus und schoben die Indianer in Reservate. Das ist die unschöne Geschichte des Westens. Den Siedlern in den Plains war aber auch kein Glück beschert. Sie rodeten das Land zu Tode, Dürren und Stürme taten ein Übriges und stürzten hunderttausende Bauern ins Elend. Diese Epoche steht am Anfang von John Steinbecks „Früchte des Zorns“, wenn Tom Joad und seine Familie sich von Oklahoma aus auf den Weg nach Kalifornien machen.
Während ich mit meinem Dodge in zwei bequemen Tagen 800 Meilen durch diese wunderbaren Weiten schaffe, waren die Trecks hier für die gleiche Distanz monatelang unterwegs. Auch das habe ich mir heute versucht vorzustellen, Meile um Meile. Hat besser funktioniert. Die Frauen, Männer und Kinder haben damals wirklich Beeindruckendes geleistet.
Oder auch die Gegend um den Mount Rushmore. Ganz anders als die Plains. Die Black Hills, zu denen der Rushmore gehört, sind eine prachtvolle Bergkulisse mit engen kurvigen Straßen, dichten Bäumen, hohen Felsen und malerischen Seen.
Zauberhafte Tunnel
Und noch etwas ist aufregender, als die vier Granitköpfe. Es gibt natürlich schon noch andere Plätze, von denen aus man einen schönen Blick auf die Köpfe hat; da muss man allerdings wieder ein paar Meilen fahren, enge Serpentinen rauf und wieder runter durch enge, in den Fels gehauene Tunnel und über wahnwitzig eng gezirkelte Brücken. Das nicht etwa, weil der Berg diesen Weg durch seine Felsform halt so vorgibt. Sondern, weil die Landschaftsarchitekten einen ganz bestimmten Weg zimmern wollten. Nämlich genau so, dass die Tunnel, durch die man fährt, auf die Köpfe der vier Präsidenten ausgerichtet sind.
Am aufregendsten finde ich gerade, dass der Mount Rushmore erst morgen in meinem Kalender steht. Ich sitze in einem Motel in Sundance, Wyoming, von wo aus ich zwei Ziele erkunden wollte. An dem einen war ich ja nun schon, habe aber drei Nächte in diesem Motel gebucht. Morgen besuche ich Steven Spielbergs Tafelberg. Dann habe ich den Sonntag frei. Entweder schlafe ich mal aus, oder schaue, was Wyoming in seiner großen Leere (der am dünnsten besiedelte Staat der USA) an Schönheit zu bieten hat.
Kleine Statistik zu Beginn meiner fünften Reisewoche: Ich habe wieder die Zeitzone gewechselt, bin jetzt in der Denver-Zeit, sieben Stunden hinter der deutschen. Zwischen New York City und hier habe ich knapp 111 Stunden im Auto verbracht und bin dabei 4.960 Meilen weit gekommen – 7.982 Kilometer.
Nicht in Zahlen zu vermessen sind die Eindrücke und Erfahrungen, die ich in der Zeit gemacht habe.
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