Der Devil's Tower in Wyoming
Christoph,  Fauna,  Urlaub

Der magische Berg

Als erstes fällt mal auf, wenn man die Staatsgrenze von South Dakota nach Wyoming überquert hat, dass man hier Höchstgeschwindigkeit 80 mph fahren darf; in den bisherigen Staaten war 75 mph das höchste der Gefühle und das auch nur auf den großen Interstates, die ich versuche zu meiden, weil ich da weniger von Land und Gemeinden sehe.

Wyoming ist ein ziemlich leerer Staat, der bevölkerungsärmste der USA mit hohem Selbstbewusstsein, da kann man auch mal umgerechnete 129 Km/h erlauben, wenn die anderen Staaten das alle nicht machen. Als Spitzname für Wyoming steht auf deren Nummernschild, also da, wo bei Florida „The Sunshine State“ steht, „Equality State“. Sie legen hier Wert auf die Equal Rights, waren die ersten, die Frauen das Wahlrecht gegeben haben. Dabei hält man hier von der Moderne nicht so viel. Die kleinen Städte sehen aus, als wären nach der Zeit der Pioniere – also des Wilden Westens – einfach nur die sandigen Straßen asphaltiert und die Häuser mal gründlich durchgefegt worden. Ansonsten lasst uns bitte in Ruhe. Bei der Wahl am kommenden Dienstag wählt Wyoming gesichert republikanisch.

Ein Café in der Stadt Hulett, Wyoming
In Hulett, Wyoming

Ich war heute Abend in meinem Gaststädtchen Sundance (POP. 1.256) im Longhorn Saloon – nein: keine Schwingtür am Eingang – und voll war es am Samstagabend nicht. Einzelne Tische waren besetzt von erkennbar Durchreisenden, Touristen wie ich – wobei ich natürlich wieder an der Bar saß. Da saßen auch ein paar Einheimische, die sich wohl kannten. Aber außer ihren Bestellungen haben sie nicht viel geredet. Am lautesten waren drei junge Frauen, die mit der Barfrau bekannt waren und offenbar ihren freien Abend genossen.

Ein Berg hat mich hergerufen

Ich trank mein Bier und freute mich über einen sehr saftigen Hamburger. Ich hatte mal wieder vergessen, den Tag über was zu essen. Im Frühstücksraum heute morgen gab es statt der erwarteten Scrambled Eggs eine graue, warme Masse mit Stückchen, die wie ein Spezialeffekt aus Alien aussah. Es ist Jagdsaison, mein Motel ist bevölkert von Jägern mit ihren übergroßen Trucks, auf deren Ladefläche ein ausgewachsener Zwölfender passt. Aus den nahen Wäldern hört man gelegentlich laute Schüsse. Die Jäger stehen sehr früh auf, vielleicht war die graue Masse ein Spezialangebot für frühe Kerle. Ich nahm zwei Toast mit Butter und einen Kaffee. Dann habe ich einen Berg besucht und die Zeit vergessen.

Der Grund, warum ich überhaupt in Wyoming bin, ist ein Tafelberg. Den habe ich gesehen im Kino, März 1978, Unheimliche Begegnung der Dritten Art von Steven Spielberg. Da dreht ein junger Elektriker augenscheinlich durch, knetet immer wieder dieselbe sich nach oben verjüngende Form – aus Rasierschaum, aus Kartoffelpüree, aus der Gartenerde vorm Haus, bis seine Frau ihn mit den Kindern verlässt und er Tage später exakt diese Form in den Fernsehnachrichten sieht. Es ist ein Tafelberg, um den herum die Regierung gerade ein Sperrgebiet errichtet hat, nachdem ein Zug mit Chemikalien entgleist und nun die ganze Gegend kontaminiert sei. Ist natürlich Quatsch: Wenn die Regierung im Kino ein Sperrgebiet errichtet, kommen immer Aliens. So auch hier: Der Tafelberg markiert den Ort der Begegnung.

Das war 1978 und ich fragte mich, ob es diesen unheimlich aussehenden Tafelberg wohl wirklich gibt – nicht mit Außerirdischen natürlich, aber unheimlich in der Landschaft stehend. Aber es waren eben die 70er, es gab kein Internet, in den Artikeln zum Film im Kölner Stadt-Anzeiger und der Kölnischen Rundschau stand nichts dazu und in eine Bibliothek zu gehen, um in Büchern zu recherchieren, dafür fehlte mir die Zeit. Ich war Teenager!

Hohe Erwartungen an den Erfolgsregisseur

Der Film mit dem Berg war großartig. Jedenfalls fand ich das. Steven Spielberg war damals noch nur der Regisseur, der mit Der Weiße Hai (1975) einen erstaunlichen Kassenhit gelandet hatte – „erfolgreichster Film aller Zeiten“ –, der ihm im kassenorientierten Hollywood Freiraum beim nächsten Film gab. Wäre der schief gegangen, hätte Spielberg vielleicht ein paar weitere Columbo-Folgen gedreht und sich bei Miami Vice ausprobiert. Aber aus den 20 Millionen Dollar, die er für Unheimliche Begegnung ausgeben durfte, machte er 116,4 Millionen Dollar und alle waren zufrieden.

Punkt.

116 Millionen Dollar waren auch damals schon weit von einem Erfolgreichster Film aller Zeiten-Prädikat entfernt, die Erwartungen an den Hai-Regisseur waren höher gewesen. Ein Teil des Einspielergebnisses wurde zudem auf den noch andauernden Hai-Hype geschoben, dann waren Weltraum und Außerirdische gerade en vogue, nachdem Spielbergs Studienfreund George Lucas ein halbes Jahr zuvor mit dem Weltraummärchen Star Wars die Maßstäbe eines erfolgreichsten Films aller Zeiten nach oben verschoben hatte. Spielbergs Film war kompliziert – ein sperriger Titel, der auf dem Filmplakat erklärt werden musste, ein Filmplakat, das einen Horrorfilm vermuten ließ – „Wir sind nicht allein“ –, aber eine Liebeserklärung an Außerirdische ist, und dann die Geschichte eines Elektrikers, dessen Ehe in die Brüche geht, der einer fixen Idee nachrennt, die erst im letzten Drittel des Films Anziehungskraft entfaltet.

Spielberg brachte den Film zweimal neu heraus. In einer Special Edition 1980 verlängerte er die Landung der Lichtorgel, so wurde das Mutterschiff der Aliens damals wegen seiner großartigen Lichteffekte genannt, und verkürzte das vorherige Drama. In einem Re-Release präsentierte Spielberg wieder die erste Fassung, verlängert um mehr Mutterschiff-Effekte im Finale.

Den Indianern ist der Berg heillig

Und immer blieb der Tafelberg der Ort, an dem die Begegnung der Dritten Art geschieht, also der direkte Kontakt mit einem UfO. Ich habe den Film immer gemocht. Ich mochte Richard Dreyfuss als erwachsenes Kleinkind, das an seine Visionen glaubt. Ich mochte die Bilder. Ich mochte die Effekte. Ich mochte das gigantische Finale, in dem die von Dreyfuss‘ gespielte Hauptfigur die Erde mit den Aliens zusammen verlässt und in ein großes Abenteuer startet. Und als ich vor zwei Jahren begann, über meine gerade laufende Reise nachzudenken, fiel mir der Tafelberg von 1978 wieder ein. In der Suchmaschine reichten die Begriffe Unheimliche Begegnung und Tafelberg und ich wusste, dass er Devil’s Tower heißt und in Wyoming steht. Seitdem war der Berg Bestandteil meiner Reiseplanung.

Der Devil's Tower in Wyoming

Das war eine gute Idee. Der Berg ist buchstäblich zauberhaft; ist übrigens das erste National Monument überhaupt, Präsident Theodore Roosevelt hat es 1906 ausgewiesen. Kiowa, Sioux und Cheyenne ist der Berg sogar heilig. Sie hängen Kleidungsstücke in die Bäume rund um den Berg, um ihm nahe zu sein. Das geht mit dem Tourismus nicht immer gut zusammen, auf Schildern werden Besucher gebeten, auf den Wegen zu bleiben, die Kleidungsstücke weder zu berühren, noch sie zu fotografieren und auch wäre es den Indianern recht, wenn man den Berg im Uhrzeigersinn umkreist. Ich war der einzige, der im Uhrzeigersinn gegangen ist. Alle anderen kamen mir entgegen und machten fröhlich lachend Selfies da, wo es besonders bunt im Hintergrund ist, wo besonders viele Kleidungsstücke hängen.

In der Stille der Wälder ein Reh

Wobei es so viele andere Touristen eben gar nicht gab. Es ist November. Auch hier gilt wie gestern am Mount Rushmore: Es kommt kaum noch jemand. Und so stand ich am Fuß dieser imposanten Erscheinung – geologisch eine Magma-Masse, die sich vor 50 Millionen Jahren unter der Erde in Sedimentgestein geschoben und an die Oberfläche gedrückt hat, dort erkaltete und über mehrere Jahrtausende die charakteristischen Säulen an den Seiten ausformte – und hatte sie in der Stille der Wälder ganz für mich. Prairiehunde mümmelten, Spechte klakkerten, Schlangen hissten, und plötzlich steht auch mal ein Reh und guckt neugierig. Der Weg rund um den Berg führt direkt an seinem Fuß entlang. Noch näher dran wäre Bergsteigen gewesen. Die Stille, der Berg, die Tiere, der indianische Glaube und die Szenen aus Spielbergs Film vermischten sich zu einem magischen Nachmittag.

Zwischendrin dachte ich auch an die Schauspielerin Terri Garr, die in „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“ die Ehefrau des vermeintlich durchdrehenden Elektrikers spielt, entnervt das gemeinsame Leben verlässt und den Devil’s Tower nur im Fernsehen sehen wird. Terri Garr ist am vergangenen Dienstag gestorben. Der ein oder andere kennt sie vielleicht als Dustin Hoffmans Freundin in Tootsie (1982).

Rund fünf Stunden bin ich um den Berg spaziert, der alle paar Meter wieder ganz anders aussieht. Hier gelang, was gestern am Mount Rushmore nicht gelang. Ich konnte spazieren, meine Gedanken hierhin und dorthin gleiten lassen, musste nicht starr an einem Ort stehen und gucken. Der Berg und seine Geschichte entspannten mich.

Dass ich darüber das Essen vergessen hatte, merkte ich im Longhorn Saloon, als der saftige Hamburger vor mir auf dem Teller in Nullkommanichts verputzt war.

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