Fort Laramie, Wyoming
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Thriller

Und plötzlich stehen diese Tiere mitten auf der Straße. Es ist stockfinster, ich fahre mit 70 Mph den Highway entlang. Supertramp singen vom „Breakfast in America“. Und plötzlich stehen diese Tiere auf der Straße. Rehe, oder Hirsche, sagt der Bambi-Biologe in mir, weil der bei dieser Bauart nur diese Namen kennt. Sie stehen und glotzen und ich fahre mit 70 Sachen auf sie zu.

Wieso fahre ich überhaupt bei Dunkelheit? Hatte ich nicht vor ein paar Tagen postuliert, ich wolle immer vor Einbruch der Dunkelheit am Ziel sein? Im Prinzip schon. Aber damals ging’s darum, dass ich ein Motel für die Nacht suche. Das habe ich ja im aktuellen Fall schon. Außerdem ist es kurz nach 6 Uhr am Abend. Eigentlich dürfte da maximal Dämmerung sein. Es ist aber schon stockfinster.

Viel Fläche, wenig Menschen

Ein bemerkenswerter Tag. Weil ich meinen Besuch am Mount Rushmore einen Tag vorverlegt hatte, dadurch schon gestern am Devil’s Tower war, meinen Motelaufenthalt aber nicht um eine Nacht verkürzen konnte, hatte ich heute einen Freiwurf – irgendwas in der Gegend angucken. Eine Amerikaerfahrene Freundin aus Frankfurt hatte ein paar Vorschläge gemacht, von denen der Teton Nationalpark ausfiel, weil der sechseinhalb Stunden entfernt liegt – für eine Richtung. Sie hatte auch Fort Laramie im Süden Wyomings im Köcher. Das war nur zweieinhalb Stunden entfernt, sollte ich die Interstates nutzen. Wäre in Wyoming als Tourist aber doof. Hier lohnen sich unbedingt die normalen Highways, im Speziellen die Scenic Byways – da dauert die Fahrt dann halt dreieinhalb Stunden in eine Richtung.

Wyoming ist USA in a nutshell – aus Sicht des Touristen auf der immerwährenden Durchreise: Dieser Staat hat viel Fläche und wenig Menschen. Auf etwas mehr als zwei Drittel der Fläche Deutschlands verläuft sich ungefähr die Einwohnerzahl von Bremen. Es gibt hier keine Signature-Städte mit Frank-Gehry-Bauten. Eine durchschnittliche Stadt in Wyoming sieht aus, wie die Städte, die wir aus Western kennen: Hauptstraße, Sheriff, Laden für alles, Saloons. Nur, dass die Straßen jetzt asphaltiert sind und die Häuser fließend warm Wasser haben.

Kohle ist die große Nummer

Wyoming ist Kohlestaat. Auf meiner Fahrt von Sundance nach Laramie im Süden fahre ich an Anlagen zur Kohleförderung, an Raffinerien und Frackinganlagen vorbei, alles keine Herzensanliegen der Demokraten in Washington D.C.. Kohle ist hier die große Nummer. Ich bin an sechs unendlich langen – unbeschreiblich langen – Güterzügen vorbei gefahren, die Kohle aus der Förderung hin zur Energiegewinnung transportieren.

Warum soll hier einer die Demokraten wählen, die von der sehr fernen Hauptstadt aus die Kohleförderung einstellen wollen, sich hier in Wyoming aber nicht blicken lassen?

Im Drehkreuz des alten Westens

Ich schweife ab. Das passiert, wenn man so lange Strecken fährt. Strecken durch ein fantastisches Ambiente. Schroffes, unbebaubares Land; weite Flächen mit einer Erhebung hier und einer da – sind das ähnliche Magmatürme im ganz Kleinen wie der Devil’s Tower einer im Großen ist? Die Sonne strahlt bis die Schornsteine der Kohleförderanlagen am Horizont auftauchen. Jetzt sammeln sich Wolken und bald regnet es. Aber nicht lange. Als wir das Industriegebiet hinter uns lassen, klart auch der Himmel wieder auf.

Highway nach Laramie, Wyoming
Highway nach Laramie, Wyoming

Schließlich stehe ich mitten im Drehkreuz des alten Westens: Fort Laramie. Das ist ein ehemaliger Handelsposten und späteres Armeefort im Delta von Laramie River und North Platte River. Der Name geht auf einen französischen Trapper mit dem Namen Jacques La Ramee zurück. Ich hatte den Rat meiner Freundin aus Frankfurt ursprünglich nur als Anlass gesehen, einfach ein wenig rumzufahren und dafür dem Navi ein Ziel geben zu können. Aber dann war die Landschaft so schön, das Licht durch das Wetter so abwechslungsreich, dass die dreieinhalb Stunden Fahrt vergingen wie im Flug. Und jetzt stand ich mitten in Western-Geschichte; kein originärer Filmdrehort. Aber die Zahl der Western, in denen Laramie oder das Fort mit seinen wechselnden Bestimmungen eine Rolle spielen, ist Legion.

Fort Laramie, Wyoming

Laramie entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts zum Drehkreuz, wurde Handelsplatz für Pelzhändler und Indianer, bald Zwischenstation für Glücksritter, Goldsucher und Siedler und dann Garnisonsstadt für die frühe US-Armee, die den Auftrag hatte, hier für Ordnung und reibungslose Abläufe zu sorgen. Das gelang eher so nicht. Verträge mit den Indianern wurden geschlossen, die dann wieder gebrochen wurden, es gab blutige Auseinandersetzungen, unter denen die am Wounded Knee, South Dakota, die bekannteste scheint.

Pelzhändler waren ’ne Nummer

Die hier gepflegte National Historic Site ist ein Freiluftmuseum im Werden. Eine Militärbaracke und ein paar Wohnhäuser kann man besuchen, von anderen Bauten ist (noch) nur ein Grundriss erkennbar. Aber schließt man kurz die Augen und lässt die – natürlich auch aus Kinofilmen geformte – Vorstellung walten, erwacht das Fort schnell zum Leben, taucht an der Ecke gleich John Wayne in einem John Ford-Western auf. Das Vorstellen fällt nicht schwer, ich bin der einzige Besucher. Anfang November ist auch hier nicht die Zeit für Touristenströme. Wir lernen auch, dass Pelzhändler Anfang des 19. Jahrhunderts eine einflussreiche, mächtige Gruppe sind. Und wenn man zwei Sekunden darüber nachdenkt, überrascht das nicht: Was war neben der Nahrungsaufnahme für Menschen, die meistens im Freien unterwegs waren, wichtig? Warme Kleidung!

Fort Laramie, Wyoming

Ich habe leider nicht all zu viel Zeit im Freilichtmuseum. Geschlossen wird bei Sonnenuntergang. Kurz nach sechs also. Aber irgendwer hat an der Zeit gedreht. Der Ranger, der hier die Aufsicht hat, sagt was von dieser Sache, weswegen jetzt um fünf Schluss sei. Mir fällt ein, dass der Radiowecker auf dem Nachttisch im Motel heute morgen plötzlich eine Stunde vor ging. Kurz: Auch Wyoming hat sowas wie Sommerzeit und die scheint jetzt vorbei, plötzlich ist um sechs Uhr fünf Uhr.

Wer achtet schon auf Wildwechsel

Als ich auf den Highway northbound einbiege, ist rabenschwarze Nacht. Zurück habe ich die schnellere Strecke gewählt – nur zweieinhalb Stunden. Kaum jemand ist unterwegs. Mal ein Truck, den man überholt und hinter sich lässt. Manchmal werde ich auch überholt von riesigen Pick Ups. Aber hauptsächlich ist es dunkel und kurvig und Supertramp. Gelbe Schilder am Straßenrand machen mich auf möglichen Wildwechsel aufmerksam, ich schalte das Fernlicht ein für den Fall der Fälle. In Deutschland habe ich hinter den Wildwechselschildern noch nie ein Wild gesehen.

Und hier steht es plötzlich im Plural auf der Straße – die einschlägigen Websites zur Fauna in Wyoming zählen Weißwedelhirsch, Maultierhirsch und Gabelbock zu den verbreiteten Spezies. Egal. Plötzlich stehen diese vierbeinigen, an Rehe erinnernden Tiere auf der stockfinsteren Straße. Das ist nicht, wie auf den ADAC-Plakaten am Rand unserer Autobahnen, wo den Autofahrer ein Rehbock mit reflektierenden Augen anblickt. Hier stehen graubraune, unbeleuchtete Körper in nächtlichem Schwarz auf dem Asphalt und studieren die Fahrbahnmarkierung. Zu Beginn sehe ich nur ein Tier, das die Fahrbahn gerade nach rechts verlässt. Erst danach werden mir ein paar Meter dahinter die zwei gewahr, die einfach auf der Straße herumstehen, und zwei weitere, die – huch – erschrocken die Fahrbahn verlassen. Mir kommt ein Fahrzeug entgegen, das ich mit Lichthupe auf die schlecht sichtbare Situation aufmerksam mache. Und nichts Blutiges passiert.

Im Auto ist alles durcheinander

Normal ist das nicht. Ich bin im Laufe meiner Reise an unzähligen Kadavern großer und kleiner Wildtiere vorbeigefahren, die aufgeplatzt am Fahrbahnrand liegen. Einmal hat es auch einen großen roten Platsch-Fleck mitten auf der Fahrbahn mit den dazu gehörigen Fleischteilen am Rand gegeben – war wohl gerade erst passiert. Ich habe mich immer gefragt, wie sowas geschehen kann – kann man da nicht bremsen? Fragen, die halt Unbeteiligte stellen. Jetzt weiß ich: Es passiert bei Dunkelheit. Und die Tiere und ich hatten heute Abend großes Glück.

Wie hart ich wirklich abgebremst habe, merke ich erst Meilen später, als ich im dunklen Auto auf dem Beifahrersitz nach meiner Wasserflasche greife. Da ist nichts mehr. Alles, was auf dem Beifahrersitz gelegen hatte – Wasserflasche, Handschuhe, Mütze, Ritz Cracker, Reiseführer, Rand McNally – quetscht sich im vorderen Bereich des Fußraums. Auch die Rückbank ist frei, Jacken, Rucksack, Kamera, alles hat sich in den Fußraum und unter die Vordersitze verabschiedet. Ich muss sehr heftig gebremst haben.

Was für ein bemerkenswerter Tag. Den hatte ich gar nicht eingeplant.

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