Los Angeles
Perfektes Finale! Sofern man zu den Menschen gehört, die es perfekt finden, den letzten Tag eines Urlaubes großteils im Stau oder mindestens zähfließend zu verbringen.
Ich war schlecht aus dem Bett gekommen heute morgen. Das ist kein Wunder, denn ich habe gestern Abend den ersten Wein seit der Weinprobe in den Tabone Vineyards am Lake Michigan vor einem Monat getrunken. Ein Supermarkt-Chardonnay, laut Etikett aus den Weinbergen von Francis Ford Coppola. Nun habe ich seinen jüngsten Film, „Megalopolis“ noch nicht gesehen, ich glaube aber auch so sagen zu können: Filme kann er besser als Wein. Es gab keinen dicken Kopf heute Morgen, aber ich war schlapp, etwas lustlos – was vielleicht auch daran lag, dass nun einige Letzte-Tage-Dinge zu erledigen waren: Online Check-In und Koffer sauber packen.
Programmierter Ärger mit der LUFTHANSA
Auf den Check-In hatte ich überhaupt keine Lust, weil ich ahnte, was passieren würde. Ich hatte am 26. September, am Tag vor meiner Abreise, für Hin- und Rückflug einen Platz am Notausgang gekauft. Die Vorstellung, acht, bzw. auf dem Rückflug elf Stunden zusammengefaltet in diesen Kleintierkäfigen namens Economy-Class verbringen zu müssen, hatte mir nicht behagt. Allein für den Rückflug habe ich für diesen Platz – 27H, Notausgang, Gang – eine dreistellige Summe extra bezahlt. Die LUFTHANSA ist mit diesem fragwürdigen Geschäftsgebaren, seine Kunden nur gegen Aufpreis wie Menschen zu behandeln, nicht allein. Das machen heute alle. In den Universal Studios gestern kostet das Parken 35 Dollar. Dann steht das Auto weit weg. Man kann natürlich auch ganz nah am Haupteingang parken; kostet dann aber 75 Dollar. Aber dann habe ich auch diesen Parkplatz nahe am Eingang.
Bei der Lufthansa nicht. Beim Check-In heute wurde mir Sitz 42H zugewiesen, zwar ein Platz am Gang, aber eben im Bereich mit minus 0,7 Zentimeter Beinfreiheit; wenn der Vordermann auf Liegesitz schaltet, zerschmettert er mir die Kniescheibe. Es folgte ein Anrufmarathon, immerhin hatte ich den 27H ja schon bezahlt und schriftlich bestätigt bekommen, also nach landläufiger Meinung ein gewisses Recht auf diesen Platz. Aber der war „not available anymore“, wie mir ein Mitarbeiter am Telefon nüchtern mitteilte; und auch kein anderer Beinfreiheitsplatz. Die seien alle schon gebucht von Passagieren, die vor mir eigecheckt hätten.
Vor mir eingecheckt? Vor dem 26. September? Really?
Drei Ziele stehen auf meiner Liste – weit auseinander
Der Mann am Telefon konnte nichts dafür, deshalb ließ ich den Vulkan, der gerade in mir ausbrach und heiße Lava in meine Innereien spie, in mir und den Mann weitgehend unbehelligt. Er versprach, eine Notiz im System zu hinterlegen, dass man mich auf die Business Class upgraden solle – das ist dasselbe LUFTHANSA-System, das sich eine gekaufte, bezahlte und schriftlich bestätigte Reservierung nicht über einen Zeitraum von neun Wochen merken kann. Ich werde sehen, was morgen passiert – heute ging am LAX wegen Überfüllung kaum noch was: Das Thanksgiving Wochenende hat begonnen; kann sein, dass der Rückstau der Überfüllung Auswirkungen noch auf meinen Flug hat. Unabhängig davon hat die LUFTHANSA nach dem chaotischen Handling schon beim Hinflug und jetzt auch beim Rückflug auf der Liste der Enttäuschungen, die so eine lange Reise unweigerlich auch sammelt, einen prominenten Platz.
Deswegen jedenfalls hatte ich auf den Online Check-In überhaupt keine Lust.
Eine Stunde später saß ich im Auto. Ich hatte drei Ziele. Eines in der Nähe, eines in Hollywood und eines in Pomona weit im Osten. Das Haus von Marty McFly war schnell erreicht, 20 Meilen sind in L.A. keine Entfernung. Es liegt im San Fernando Valley und als ich in die Straße einbog, hatte ich sofort ein Aha-Erlebnis. Das Haus hatte ich noch gar nicht gefunden, aber fühlte mich schon mitten in der Kulisse der entsprechenden Filmszene. Ich habe einige Drehorte auf meiner Reise besucht und häufig nur noch das Ungefähre gefunden, weil zum Beispiel in Edgartown auf Martha’s Vineyard das Haus von Chief Brody aus Der weiße Hai (1975) gar nicht mehr steht, an diesem Platz wurde vor vielen Jahren ein neues gebaut.
Fans aus aller Welt im Fernando Valley
Die Straße im San Fernando Valley heute sieht noch genau so aus, wie in der Schlussszene von Zurück in die Zukunft, in der Doc Brown Marty und dessen Freundin Jennifer in den DeLorean packt und in die Zukunft abfliegt: „Where we’re going, we don’d need … roads!“ Das Haus der Familie McFly hat sich im Grunde auch kaum verändert. Das liegt ein bisschen an den beiden markanten Strommasten, die gleich dahinter stehen. Ich war eben erst aus dem Wagen gestiegen und hatte mich ein bisschen umgesehen, da stand auch schon der Hausbesitzer neben mir: „Fan of Back to the Future?“ fragte er. „Are You Marty McFly?“, fragte ich zurück und setzte gleich hinterher, ob er eigentlich genervt sei von Typen wie mir. Nein, gar nicht, sagte er, er habe auf diese Weise Leute vom ganzen Erdball kennen gelernt, erst im August hätten Leute aus der Mongolei vor seinem Haus gestanden. Bemerkenswert sei, dass die Nachbarn zwei Straßen weiter „not any clue“ hätten, keine Ahnung, dass hier das McFly-Haus steht. Er schnappte sich mein Handy, dirigierte mich an filmrelevante Stellen vor seinem Haus und fotografierte mich da – während am Straßenrand ein Paar aus Puerto Rico hielt, das auch das McFly-Haus besuchen wollte. Als ich ihn bat, auch von ihm ein Foto machen zu dürfen, lehnte er ab. Das sei seiner Frau nicht so recht, deshalb wolle er auch seinen Namen nicht sagen. Seine Frau scheint Leute vom ganzen Erdball vor ihrem Haus nicht ganz so interessant zu finden.
Mein nächstes Ziel sah ich schon von Weitem, fuhr aber eine Dreiviertel Stunde bis dahin. 34 Stockwerke hoch in Century City. Im Dunst der Ferne sah es etwas blass aus, nicht so markant und kontrastreich, wie in den vielen Nachtaufnahmen, wenn Explosionen die oberen Etagen erschütterten. Aber der rote Granit, der sich mit blau spiegelndem Glas abwechselt, zusammen mit dem achteckigen, beinahe sternförmigen Grundriss, machen das Haus unverwechselbar. Hier hat die Karriere von Bruce Willis den entscheidenden Schubs bekommen, als er als New Yorker Cop John McClane an Weihnachten in diesem Hochhaus auf seine Frau wartet und es wenige Minuten später in Unterhemd und nackten Füßen mit einer Horde schwer bewaffneter Killer aufnehmen muss. Die hard – zu Deutsch: Dickkopf (und nicht etwa Stirb hart) – ist ein Meilenstein des zeitgenössischen Hollywoodkinos.
Ein Weltstar scheut die Aufmerksamkeit
Heute lässt sich das Haus nur noch schwer fotografieren. Ein Sicherheitsmann kam sofort auf mich zu und erklärte, seit Nine/Eleven sei es aus Safety Reasons in L.A. verboten, Hochhäuser zu fotografieren. Das fand ich einigermaßen lustig: Ein Haus, das Hauptdarsteller in einem sehr erfolgreichen Film ist, der jedes Jahr an Weihnachten im Fernsehen läuft und das ganze Jahr über auf den Streamingkanälen abgerufen wird, darf aus Safety Reasons nicht mehr fotografiert werden. Ich vermute eher, die hochmögenden Anwaltskanzleien, die heute in dem Haus neben dem Ankermieter 20th Century Fox residieren, möchten gegenüber ihrer zahlungskräftigen Klientel – vielleicht Scheichs, Prinzen und Elon Musk – nicht dauernd mit einem verschwitzten Einzelkämpfer im Schießer-Feinripp Unterhemd, der noch dazu „Jippieja-Yeah, Schweinebacke!“ sagt, in Verbindung gebracht werden.
Ich dankte freundlich für den Hinweis, stieg ins Auto und machte ein paar Schnappschüsse durchs offene Schiebedach, während ich das Gelände verließ. Ein schönes Gebäude, auch in der Realität, so viel konnte ich sehen.
In Die hard gibt es ein Gespräch von John McClane und seiner Frau Holly, die in Los Angeles gerade Karriere als Anwältin in einem japanischen Großkonzern macht, dafür ihren Mädchennamen wieder angenommen hat, während er als Cop die Straßen von New York durchstreift und von dieser Entwicklung gar nicht begeistert ist. Wo er denn übernachte, fragt Holly. Bei Crappy Roberts, sagt John. Der habe sich hier zur Ruhe gesetzt, in Pomona. „Da sitzt Du ja die Hälfte der Zeit hier im Auto“, sagt Holly. Im Drehbuch ist das ein Dialog, der inhaltlich keinerlei Bedeutung hat, dramaturgisch aber die Brücke zur zentralen Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten ist. Aber darum geht’s nicht. Der Dialog war mir hängen geblieben, weil ich damals, 1988, nicht wusste, was Pomona sein soll. Jetzt weiß ich es. Dort lag mein drittes Ziel und um dorthin zu kommen, machte ich den Los Angeles Ride.
Rollen im Stau als Meditation
In den Universal Studios gestern saß ich viel in Sesseln, in denen ich wie in einer Achterbahn festgeschnallt werde, um dann in einer künstlichen Welt zwischen sehr großen Leinwänden mit Live Action und Schlossmauern aus Pappmaché mit Geistern darin hin- und hergeworfen zu werden. Heute saß ich nur an Dodges Steuer und rollte über einen Highway. Ich hatte dem Auto endlich eine ordentliche Wäsche spendiert, spätestens seit dem Monument Valley war er mehr rot als weiß gewesen. Und jetzt erlebten wir, wie sich der berühmte, viel zitierte, viel gefilmte L.A.-Verkehr mit Stop and Go anfühlt – und er fühlt sich nicht hektisch an, wie auf dem Mittleren Ring in München oder aggressiv, wie in der Rheinallee in Mainz. Wir standen nie länger als zehn Sekunden. Wenn überhaupt. Der Highway hat in jeder Richtung sechs Spuren, eine davon, die Diamond Lane, ist den Autos mit mindestens zwei Passagieren vorbehalten. Die Autos wechseln die Spuren lebhaft. Und meistens entspannt. In den USA gilt das Prinzip Wenn sich jeder um sich kümmert, ist allen geholfen. Das klingt nach Egoismus und wird im Allgemeinen akzeptiert. Wenn also auf dem Highway einer plötzlich die Spur wechselt, oder im Stop and Go sich ungefragt vor Dich in Deine Spur schiebt, wird das akzeptiert (meistens): Da kümmert sich einer um sich und bei nächster Gelegenheit muss ich ja auch mal plötzlich die Spur wechseln. Wegen sowas hupt hier keiner.
So fuhren und standen wir abwechslungsreich und eindrucksstark zweieinhalb Stunden nach Pomona, wo der Parkplatz einer Shopping Mall mein Ziel war. Hier ließ Doc Brown in Zurück in die Zukunft (1985) zum ersten Mal den DeLorean von der Leine, der seinen ersten Zeitsprung mit brennenden Reifenspuren vollführte. Die zum Parkplatz gehörende Shopping Mall hieß im Film Twin Pines Mall. In der Realität ist es die Puente Hills Mall, die schon bessere Zeiten gesehen hat. Im Erdgeschoss sind die meisten Ladenlokale leer. In einer Ecke steht das große Neon mit dem Schriftzug der Twin Pines Mall unbeachtet hinter Absperrbändern. Ob das AMC-Kinocenter im Gebäude weiß, was da knapp hundert Meter von seinem Eingang entfernt vor sich hin gammelt?
Ein verrücktes Land
Fazit: Ich habe heute nochmal explizit Drehorte besucht, was in den letzten Wochen in den Hintergrund großer Naturwunder getreten ist. Um diese Orte zu erreichen, hatte ich ein einzigartiges Los Angeles-Erlebnis: Ja, für Filmfans kann zähfließender Verkehr auf 12-spurigen Highways zwischen Pasadena, Burbank, Beverly Hills und Monterey Park über Straßen wie den Pico Boulevard (Terminator, 1984) und andere aus Filmen bekannte Wege, hinreißend sein.
Verrückt, dieses Land. Oder?
Ein Kommentar
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