
Hiob
Gestern habe ich erzählt, wie wohl man sich hier als Reisender fühlt, weil die US-Amerikaner so eine Grundfreundlichkeit haben. Heute habe ich eine Ahnung davon erhalten, was es heißt, wenn sie – warum auch immer – misstrauisch Dir gegenüber sind, sie Dich als fremd empfinden. Mein Reisetag endete in einem freundlichen Erfahrungsaustausch mit einem uniformierten Polizisten.
Von dem Regen in New York hat sich meine Kamera nicht erholt. Grundsätzlich funktioniert schon alles, aber sie kränkelt. Manchmal spinnen die Menüeinstellungen umeinander, dann reagiert der Aufnahmeknopf nicht. Und hier und da gibt sie auch den Autofokus nicht frei. Das sind so Nachrichten, die der Reisende nach nur wenigen Tagen gar nicht gebrauchen kann, aber nun gut. Ist ja nicht zu ändern: einschicken kann ich die Kamera nicht, in einen Laden zur Reparatur geben auch nicht. Ich brauche sie ja jetzt, also nehme, was ich habe.
Hiobsbotschaften statt freundlicher Wale
Heute war Whale Watching. Am nordöstlichen Ende von Cape Cod in Provincetown. Gut gestimmt bestieg ich das Boot, suchte mir einen Platz und checkte meine Kameras – neben meiner großen habe ich immer eine GoPro und eine Insta360 dabei, man weiß ja nicht, was kommt. Meine große muss das Salzwasser gerochen haben und meldete: „AF ist in diesem Modus nicht nutzbar“, also irgendwas wollte den Autofokus nicht. Ich eigentlich auch nicht, denn Autofokus beim Dreh haut Dir garantiert jede dritte Aufnahme zu Klump. Ich wusste nur nicht, von welchem Modus die Kamera sprach, ich hatte gar nichts verändert.
Während ich hin und her probierte, besetzte eine große Gruppe Menschen alle Plätze um mich herum, gefühlt etwa 10 Kinder zwischen 8 und 10 Jahre alt und ihre sehr um sie bemühten Betreuer/Eltern/Versorger/was auch immer. Die Kinder waren aufgeregt, es ging ja zu den Walen, entsprechend laut waren sie und stiegen hin und her über meine Füße und Beine, während ich an der Kamera arbeitete. Das war nach der zickigen Kamera gleich der zweite Einschlag in mein an tobenden Kindern eher nicht trainierten Gemüt, aber erstens bin ich hier Gast und zweitens muss ich das mit der amerikanischen, gelassen wirkenden Freundlichkeit ja auch mal lernen. Ich lächelte also freundlich, während ich meine Kamera untersuchte und ein Kind über meine Knie kletterte, die ihm Hindernis waren auf seinem Weg Hin und Zurück.
Eine Betreuerin kam auf mich zu: „Haben Sie gerade die Kinder gefilmt?“
„Nein, habe ich nicht.“ Ich hatte gar nichts gefilmt.
„Kann ich Ihre Aufnahmen mal sehen?“
„Nein, das können Sie nicht.“
„Warum nicht, wenn Sie doch die Kinder nicht gefilmt haben, haben Sie nichts zu verbergen?“
„Weil ich hier gar nichts gefilmt habe. Und meine Aufnahmen vom Vormittag gehen Sie nichts an.“
Unschuldige Aufnahmen
Ja, ich muss das mit der amerikanischen Freundlichkeit und Offenheit weiter üben. Aber ich hatte mentalen Stress mit meiner Kamera – ich wollte ja nicht nur die Tiere sehen, ich hätte auch gerne ein paar schöne Aufnahmen von ihnen gemacht – und keinen Zugang für ambitionierte Erziehungsberichtigte. Mein Fehler! An dieser Stelle aber verlief sich die Situation.
Weil in der ersten Stunde der Fahrt raus aufs offene Meer naturgemäß nicht viel passierte, machte ich mit meinen Kameras Aufnahmen vom Boot, von Leuchttürmen, von der Gischt am Bug, alles, was man halt so brauchen kann, wenn man später aus dem erhofften Wal-Material eine Sequenz schneiden will, in der nicht „Wal im Wasser“ auf „Wal im Wasser“ auf „blasender Wal im Wasser“ folgen soll.
Ich war nicht der Einzige. Eine junge Frau im Bug machte mit einem gewaltigen Teleobjektiv Aufnahmen, Fotos, nehme ich an, von dies und das und jenem. Ein weiteres Paar machte Videoaufnahmen. Wir tauschten uns kurz über meine Insta360 aus; so eine kannten sie nicht. Erstaunlich: In New York liefen davon an jedem Instagram-Hotspot fünf herum, in Cape Cod eher unbekannt. Und natürlich filmten beinahe alle Passagiere mit ihren Handys sich, die Partner, die Antennen am Boot, die Gischt, das blaue Meer und den Horizont.
Die Wale sind da, mein Kopf nicht
Dann kamen die Wale, Finnwale. Erst einer, nach zehn Minuten ein zweiter. Sie tauchten mehrfach auf. Später zeigten zwei andere Wale ihre große Flosse, bevor sie abtauchten. Kurz mutmaßten wir: Buckelwale. Aber unsere in wissenschaftlichem Entertainment geschulte Tourguide war sich nicht hundertprozentig sicher. Egal, solche Walflossen mal live zu sehen, war super.
Brauchbares auf der Speicherkarte meiner Kamera hatte ich allerdings nicht. Ich kann nicht alles auf die Kamera schieben, eine gehörige Portion persönliches Unvermögen war schon auch dabei, ausgelöst auch durch die Begleitumstände des Tages und die so seltene Gelegenheit, so intensiv mit Kameras zu arbeiten und bla bla bla. Die Aufnahmen sind halt Mist. Und ich hatte die Kamera geführt.
Sowas kann mir, egal ob Urlaub oder Redaktion, aufs Gemüt schlagen.
Andersrum aber: Ich sagte schon mal, ich bin nicht in die USA gekommen, um schlechte Laune zu haben. Ich habe die Wale ja alle in ihrer Pracht und Schönheit gesehen, zumindest das davon, das sie mir zu zeigen bereit waren. Ich kann’s halt nur später niemandem weitergeben.
Die Polizei interessiert sich für mich
Als das Boot am späten Nachmittag wieder im Hafen von Provincetown anlegte, hatte mich das Mantra „Du hast die Wale gesehen, Du brauchst sie nicht als Bild auf Speicherkarte – Du hast die Wale gesehen, Du brauchst sie nicht als Bild auf Speicherkarte“ schon ziemlich beruhigt. „Good evening Sir. Could You just step aside with me for a Moment?“, sprach mich ein junger Uniformierter an, der sich mir als Simon vorstellte.
Ob ich einen guten Tag hätte, ob ich Wale gesehen hätte und was ich so fotografiert hätte und ob ich auch Cameras on Stick genutzt hätte. Damit meinte er wohl meine GoPro und die Insta360. Offenbar hatten die Betreuer/Eltern/Versorger/was auch immer noch vom Schiff aus die Polizei gerufen; in einiger Entfernung wurden auch die Frau mit dem Teleobjektiv und das andere filmende Paar von Uniformierten in eine freundliche Unterhaltung gezogen. Noch an Bord hatte mich ein älterer Herr, sein Käppi wies ihn als Vietnam-Veteran aus, nach „dieser komischen Kamera“ gefragt. Ich holte sie aus der Tasche und erklärte und zeigte ihm, was man mit so einer 360-Grad-Rundumsicht anstellen kann. Er bedankte sich und freute sich, dass ich mir die Zeit genommen hatte.
Nach zehn Minuten freundlichem, stets um Deeskalation bemühtem Gespräch, das dauernd zwischen scheinbar privater Plauderei – was ich so mache in den USA und „Germany is a Destination on my bucket List“ – und behördlicher Strenge – „Do You have Your ID, Christoph?“ – wechselte, wurde ich in den heraufziehenden Abend entlassen; keine Kontrolle meines Rucksacks, keine Inspektion der von mir gemachten Aufnahmen, „Thank You and have a nice Day!“
Lehren daraus ziehen
Von den zahlreichen Menschen, die mit ihren Handys um sich gefilmt hatten, wurde niemand befragt. Womöglich sind Aufnahmegeräte, mit denen meine Generation groß geworden ist, heute so unbekannt, dass sie schon wieder verdächtig sind – wonach auch immer verdächtig. Immerhin muss man sagen, dass die Betreuer/Eltern/Versorger/was auch immer an Bord weitgehend ohne Handy auskamen und die Kinder mit Mal- und Bastelbüchern aus Papier bei Laune gehalten wurden. Das machte mir ihre Kamera-Aversion ein bisschen verständlicher. Aber auf der Parkbank saß im Sonnenuntergang ich und aß mit zitternden Händen meine Lobster Roll.
Was ich gelernt habe
– Die USA sind nicht Deutschland. Wenn Kinder im Spiel sind, ist die Unruhe hier eine ungleich höhere
– Ich mache Urlaub und keinen Film. Abseits der Großstädte setze ich mein Equipment zurückhaltend ein
– Wer Abenteuerurlaub betont, bekommt Abenteuer
– Wale sind erhabene Tiere


6 Kommentare
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Markus
Ok, Shit happens! Das mit den hypernervösen Eltern / Betreuern hätte schlimmer ausgehen können. Dass gleich die Cops benachrichtigt werden… nun ja, vielleicht eine interessante Erfahrung, von denen in Deutschland auch viele berichten, die nicht biodeutsch aussehen. Aber danke für die Geschichte!