Von hier und gesund
Man kann sich daran gewöhnen, wieder durch Städte zu spazieren, in deren Zentrum keine Anhäufung von Glasphalli stehen, sondern drei-, viergeschossige Häuser in Klinkerbauweise, in denen sich Gallerien, Boutiquen, Cafés, Elektronikläden, Juweliere, Supermärkte mit Obst, Gemüse und Getreide aus der Umgebung, Architekturbüros, Schuhläden, Antiquitätengeschäfte, Bankfilialen und jede Menge Bar & Grill abwechseln. Fast möchte ich sagen, es erinnere an Deutschland. Nur, dass ich hier oben keine Filiale einer Kette sehe – die großen Ketten-Betreiber wie Target, Staples, Subway und Co. tummeln sich im Schatten der Interstate 90 am Stadtrand. Die Main Street gehört dem Regionalen.
Bozeman liegt im Südwesten von Montana und scheint wirklich die Boomtown zu sein, vor der mein Reiseführer warnt. Paul jedenfalls, der Manager der Bar, in der ich gerade gepflegt versacke, erzählt ganz begeistert, was sich hier alles entwickelt. Er vergleicht das mit Berlin, das er ein bisschen kennt, weil sein Bruder dort in der Werbung arbeitet, und nennt ein paar Zahlen: Größter Airport des Staates, rund 60.000 Einwohner, rapide steigend, in ein paar Jahren werde man Billings mit seinen 110.000 Einwohnern wohl überholt haben. Die Montana State University spült zuverlässig junge Menschen in die Region. Hier siedeln Brauereien, Maschinenbau, Tech-Firmen und Programmierer, die Filmindustrie ist seit dem immensen Erfolg der TV-Serie „Yellowstone“, die rund um Bozeman spielt (wenn auch weiter westlich gedreht wird) gerade sehr neugierig auf die Gegend. Das Geschäft mit dem Skilaufen explodiert und das wiederum zieht allerlei Volk und Kleingewerbe an, vom Künstler über den Goldschmied bis zum Yoga-Lehrer.
Vorlage für eine TV-Serie
Mich erinnert das an die erste Staffel von „Yellowstone“, in der ein paar New Yorker Investoren mithilfe wackliger Politiker dem Großgrundbesitzer und Rancher John Dutton Teile seines Landes wegnehmen wollen, um dort Ski-Infrastruktur zu entwickeln. Ja genau, sagt Paul, das sei die Geschichte, die gerade passiere. Nur, dass es keinen John Dutton gibt, der das verhindere. In der Serie besitzt Dutton, gespielt von Kevin Costner, gefühlt ein Fünftel der Fläche Montanas. Die Serie ist eine Art „Dallas 7.0“, die Hauptfiguren sind keine Sympathieträger, auch Costner nicht, aber seit ich durch diese Gegend hier oben fahre, kann ich die Starrköpfigkeit der – serientypisch – dysfunktionalen Familie besser nachvollziehen – wenn auch sicher die Morde und anderen Grausamkeiten, die sich aus der Geschichte heraus entwickeln, dann mehr Film als Wirklichkeit bleiben – hoffentlich.
Ich bin seit meinem Erlebnis mit den hysterischen Erziehungsberechtigten beim Whalewatching auf Cape Cod immer noch vorsichtig im lockeren Umgang mit US-Bürgern. Ursprünglich war ich ja unterwegs heute, um ein bisschen von der schönen Gegend zu sehen, in der Robert Redford 1992 Aus der Mitte entspringt ein Fluss mit Brad Pitt in der Hauptrolle gedreht hat. Dazu musste ich am Vormittag südlich raus aus Bozeman und kam über immer abgelegenere Highways an die Stelle, an der viele der Szenen entstanden sind, in denen Brad Pitt seine Fliegenfischerangel auswirft. Der Fluss ist kaum mal frei zugänglich. Kaum habe ich meinen Dodge geparkt, rollt ein gigantischer Pick-Up heran, ein freundlich lächelnder, aber bestimmt auftretender Mittdreißiger steigt aus – wo kam der so plötzlich her in dieser leeren Gegend? – erkundigt sich, ob er helfen könne. Ich erkläre mein Anliegen und nachdem ich akzentfrei „Robert Redford“, „A river runs through it“ und „Nineteennintytwo“ gesagt habe, lächelt der Mann „I got it“, grüßt freundlich, springt in seinen Truck und fährt seiner Wege.
Man muss Prioritäten setzen
An anderen Stellen, die mich nah an den Fluss ließen, ist der mit alle fünf Meter aufgestellten „No Trespassing“-Schildern versperrt. Aus meinen Filmen weiß ich: Wo solche Schilder in solcher Zahl stehen, ist hinter dem Vorhang eines Fensters schon eine Doppelläufige auf mich gerichtet. Wieder andere Stellen wären zu erreichen, allerdings über verschneite, glitschige Felsen. Anders, als auf Martha’s Vineyard, wo ich mich sehr für genaue Kamerapositionen interessiert habe, haben mich die Redfordfilme im Kino vor allem auf schöne Landstriche aufmerksam gemacht, in denen ich mich dank ihrer ja jetzt seit Tagen bewege. Exakte Kamerapositionen zu finden um den Preis eines gebrochenes Knöchels oder gar eines Lochs im Kopf ist hier nicht so wichtig.
Es bleibt die Erfahrung: Dieses Montana hat es echt in sich. Ich überlege, ob ich den Glacier Nationalpark doch wieder in meine Planung aufnehmen soll. Gestern in Livingston hatte mir das schon die junge Mitarbeiterin in einem Café ans Herz gelegt, sagte, in zehn Jahren werde es den Gletscher nicht mehr geben, jetzt sei die Zeit, da un-be-dingt hinzufahren. Und Paul, der Manager in der Bar heute, äußerte sich ähnlich, die Gegend da oben sei einfach traumhaft. Ich hatte den Park bald wieder aus der Ideensammlung für meine Reise gestrichen, weil der oben an der kanadischen Grenze liegt und um diese Jahreszeit dort mit widrigsten Wetterverhältnissen zu rechnen ist.
Und dann war auch heute kein Wölkchen am Himmel, in Bozemans Main Street saßen die Menschen am 8. November in den Außenbereichen der Bars und Cafés. Und junge Mädchen trugen bauchfrei.
Reichhaltige regionale Biersorten
Jedenfalls wird rund um Bozeman viel investiert, es gebe hier ein Ski-Gebiet für die „Oberen Zehn der Oberen Zehntausend“, sagt Paul, der Manager der Bar, sehr exklusiv und das ziehe ordentlich Geld an. Eigentlich war Paul an meinen Tisch gekommen, um sich zu erkundigen, welches der vier Biere aus meiner Versuchs-Bestellung mir am besten schmeckt. Und als ich ihm erklärte, dass ich aus Germany sei und bei Bier etwas wählerisch, ging er gleich wieder und stellte mir ein fünftes, sein favorite, dazu – in seiner Bar gibt es so ein Angebot auf der Karte. Da bekommt man vier unterschiedliche Biere aus regionalen Brauereien in kleinen Gläsern serviert und das, was einem am besten gefällt, bekommt man dann nochmal in einem ordentlichen Pint.
2006 habe das angefangen, sagt Paul, dass überall im Land kleine Brauereien aus dem Boden schießen. Ein neues Gesetz, frage ich; irgendein Verbot aufgehoben? Nein sagt er, da sei einfach eine neue Generation groß geworden, die auf Miller’s, Budweiser, Coors und die anderen Massenmarken keine Lust mehr hatten und was Neues ausprobieren wollten. Überall auf meiner Reise konnte ich in den Bars nach lokalem Bier fragen und bekam immer eins; in Maine und in Minneapolis bekam ich sehr bittere Getränke hingestellt, hier in Bozeman stehen ein süffiges Lager, eine limonige Versuchsanordnung, ein Pils und ein Pils, das kein Pils sein will, vor mir plus Pauls favorite, einem gefährlich süffigen Bier, das erst unauffällig daher kommt, meiner durch Kölsch geschulten Erfahrung nach aber nach dem vierten Glas zuschlägt. Paul bestätigte diese Einschätzung und so kamen wir ins Gespräch, während ich nebenbei einen mächtigen Burger aß.
Regionales ist Trumpf
Als ich den Laden schließlich verließ, hatte ich ordentlich einen sitzen. Die Sonne schien, die Temperaturen waren herbstlich frisch. Also machte ich einen ausführlichen Spaziergang die lange Main Street rauf, kaufte frisches Obst für den Abend in einem Laden, den ich eher in Freiburg oder in Prenzlauer Berg vermuten würde – nennt sich Co-Op und sein Logo ist eine Möhre. Das Geschäft hat sich, wie aus einigen Fotos im Laden hervorgeht, aus einem Krämerladen 1940 entwickelt, ist über die Jahrzehnte gewachsen und hat sein Profil der Zeit angepasst, nicht dem Zeitgeist. Es gab hier immer Regionales. Damals, weil das einfach so war. Heute, weil der Laden das einfach weiter anbieten will – „Home is, where Your food comes from“. Es riecht hier, wie in dem Naturkostladen bei mir um die Ecke; das aber mitten auf der Main Street im Nordwesten der USA. Das Geschäft ist gut besucht.
Wäre ich 40 Jahre jünger, würde ich in ein paar Jahren neugierig zum Skifahren herkommen und die Abende mit Pauls fünften Bier ausklingen lassen.
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