Mehr als Cowboys
„Und dann geht’s rauf nach Montana und …“ „Was willste denn in Montana? Was is’n da?“ Das ist der Auszug aus einem Gespräch, das ich im Vorfeld meiner Reise häufiger geführt habe. „Ich weiß nicht“, habe ich dann geantwortet, „Gucken?!“
Heute habe ich in Missoula geguckt. Ich erlebe eine überschaubare City, in der sich auf wenigen Blocks die für mich als mittlerweile typisch erscheinenden flachen Gebäude reihen. Zwischen den klassischen Klinkerbauten behauptet sich ein Hotel im Tudor-Stil, es findet sich, wie soll man das nennen, Neo-romanische Architektur mit runden Fensterbögen neben einem klassischen Bauhauszitat, in dem ab 1910 Autos repariert und später auch vermietet wurden – ein Bau, mit runden Ecken und zweckdienlich wie ein Kotflügel.
Auch in Missoula sammeln sich Cafés und Geschäfte, die Sachen auf der Karte, bzw. im Regal haben, deren Ursprung aus der näheren Umgebung kommt. Es gibt wöchentliche Bauernmärkte, zu denen im Internet geraten wird, man solle vor 8.30 Uhr kommen, bevor „die Cadillac-Kinderwagen und die händchenhaltenden Paare die Gänge verstopfen“. Der Altersdurchschnitt in Downtown an diesem Sonntag liegt bei Mitte 40, wobei es Leute wie ich, einige Familienväter und -mütter und augenscheinlich alteingesessene Männer sind, die den Durchschnitt heben. Hinter den Theken in den verschiedenen Läden stehen Studentinnen und ein paar Studenten. Missoula beheimatet die University of Montana – Missoula, an der unter anderem Journalismus, Geisteswissenschaften, Forstwirtschaft und Konservation Gesundheitsberufe und Biomedizin und Kunst gelehrt wird. Lily Gladstone hat hier studiert, eine Schauspielerin, die in Martin Scorseses Killers of the Flower Moon (2023) neben Leonardo DiCaprio gespielt hat und daraufhin als erste indigene Schauspielerin mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde.
Überschreitet man den Clark Fork, einen der drei Flüsse, der die Innenstadt teilt, ist es mit der Downtown-Geschäftigkeit vorbei. Hier stehen gemütliche Einfamilienhäuser in von Bäumen gesäumten Straßen, die sich an ihren Kreuzungen hier und da einen Kreisverkehr gönnen. Eichhörnchen hoppeln über Gras und Asphalt. Vor den Häusern stehen Autos aus südwestdeutscher Produktion. Am Fluss selbst sammeln sich die Menschen bei besserem Wetter in einem begrünten Bereich mit Bühnen und Pavillons, die im Sommer häufig bespielt werden – heute nicht, das Ufer ist wegen Bauarbeiten abgesperrt und am frühen Nachmittag ziehen Wolken auf, ab drei Uhr nieselt es. Das ist in meinem Fall nicht weiter schlimm.
Downtown ist überschaubar
Missoula insgesamt breitet sich über eine große Fläche zwischen den fünf Gebirgsketten aus. Die Stadt ist der Verwaltungssitz des Missoula County, auch die Montana Rail Link, eine überregionale Eisenbahngesellschaft, beansprucht Platz für Firmensitz und Mitarbeiter. Zudem verfügt Missoula über einen eigenen Flughafen, auf dem die Smokejumper beheimatet sind, die Männer und Frauen, die immer häufiger mit ihren großen Löschflugzeugen aufsteigen, um Brände in Montana zu bekämpfen. Steven Spielberg hat ihnen mit Always – Der Feuerengel von Montana 1989 in einem wahnsinnig kitschigen Liebesfilm seine Reverenz erwiesen. Apropos Filmbezug: David Lynch (*1946) ist ein Sohn der Stadt, Regisseur verstörender Filme wie Eraserhead (1977), Der Elefantenmensch (1980) oder Blue Velvet (1986). Die TV-Serie „Twin Peaks“ ist auch von ihm.
Für den Kurzzeitbesucher sind die weiten Flächen, über die sich die Stadt ausbreitet, eher uninteressant – abgesehen vom Visitor Center der Smokejumper, das mein Reiseführer als sehenswert einstuft. Ich konzentriere mich auf die sympathische Innenstadt, die ich bald Block für Block, Straße für Straße erkundet habe. Und als es also anfängt zu nieseln, ziehe ich mich in den Market on Front Street zurück und wähle einen Veggie-Wrap.
Sogar ich wähle Veggie
Was ich denn also in Montana will? Überraschendes finden. Zwischen Big Timber, Livingston, Billings, Bozeman und Missoula habe ich einen Staat erlebt der, glaube ich der TV-Serie „Yellowstone“, gerade von Großinvestoren entdeckt wird, der in der Realität mit den schneebedeckten Rockies, den bewaldeten Berghängen, den plätschernden Flüssen und den weiten Ebenen noch geschickt unter dem Radar der Tourismusindustrie gleitet. Montana hat am vergangenen Dienstag mehrheitlich den Republikaner ins Weiße Haus gewählt. In Billings, Bozeman und Missoula aber war’s knapp, bzw. demokratisch (was beim US-Wahlsystem keine Auswirkungen hat). In diesen Städten leben junge Leute, Studenten, die das von Cowboys und Viehzucht dominierte Land mit Bio, Yoga und Diversität unterwandern.
Nach fünf Wochen USA kam mir Montana gerade recht. Die gesündere Ernährung, die zumindest in den Städten leicht zu bekommen ist, hat mir gut getan. Ich bin ja auch zuhause der amerikanischen Art zu essen nicht abgeneigt, aber in den sechs Wochen meiner Reise habe ich sicher drei, vier Kilo zugenommen; ich habe hier keine Waage, aber auf meinen Fotos aus New York von Ende September sehe ich schlanker aus.
Bei aller Schwärmerei für diesen schönen Bundesstaat geht meine Zeit in Montana zu Ende. Ich biege nach Süden, Richtung Utah ab. Meine Reise im Norden der USA stur nach Westen durch Landschaften, deren Schönheit jeder Beschreibung spottet, und Städte zum schockverlieben oder zum herantastenden Kennenlernen, ist vorbei. Zwischen hier und Los Angeles, wo Ende November ein Flugzeug wartet, liegen noch drei Wochen, weitere Filmschauplätze, das Monument Valley, der Grand Canyon, eine Nacht in Las Vegas und mal sehen, ob und wie nah ich an die versteckten Aliens in der Area 51 komme.
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