Dutton Ranch, USA
Es gibt in China Städte, in denen Millionen von Menschen wohnen und die bei uns kaum einer kennt. Und es gibt Pocatello, Idaho. Kennt auch keiner. Hat auch nur 56.000 Einwohner. Und da übernachte ich heute. Die Stadt liegt günstig auf meiner langen Fahrt in den Süden, die mich morgen nach Wendover, Utah, bringen soll.
Ich hatte mich auf einen Arbeitstag eingestellt, 9 Uhr Abfahrt aus Missoula, Meilen schrubben auf dem Scenic Highway mit einer kleinen Pause an einer Ranch. Und dann wurde es ein weiterer Tag in – ich mag mich nicht immer wiederholen, aber – einer grandiosen Kulisse.
Nach knapp eineinhalb Stunden stand ich vor der Chief Joseph Ranch kurz hinter Darby. In Film- und Streaming-Kreisen ist die Ranch bekannter unter dem Namen „Dutton Ranch“. In der Neo-Westernserie Yellowstone, die seit Sonntag in sechs letzten Folgen zu Ende geführt wird, gibt sie als Sitz der Familie Dutton einen der Hauptschauplätze.
Ich wusste schon, dass ich nur bis zum Eingang kommen würde und nicht etwa auf der Ranch rumspazieren kann. Wenn da nicht gedreht wird, ist es die Ranch von Familie Libel, die hier wohnt und Pferde und Kühe züchtet. In den Sommermonaten kann man als Tourist eine der beiden Holzhütten für eine Übernachtung anmieten – dann darf man auch aufs Gelände. Jetzt aber, am 11. November, als in Mainz und Köln sich alle schunkelnd in den Armen liegen, strahlt die Ranch ein wenig von der mutmaßlichen Genervtheit ihrer Besitzer aus. Mehrere Pylonen versperren die Einfahrt, „No Trespassing – Keep out“-Schilder und auffällig blinkende Überwachungskameras machen deutlich, dass man gar nicht erst auf die Idee kommen soll, zu fragen, ob nicht vielleicht doch … Ein weiteres Schild zeigt, dass der Kampf gegen Leute wie mich, Zeit stehlende Touristen, nicht ganz gewonnen werden konnte; darauf steht: „PARKEN IN DER EINFAHRT VERBOTEN. Bitte parken Sie auf der Straße am Rand, kommen Sie ans Tor, um Fotos zu machen“. Und dann verschwinden Sie wieder steht da nicht, klingt aber mit.
Eine TV-Serie spiegelt die modernen USA
Ich kann die Familie Libel verstehen. Als die Dreharbeiten zu „Yellowstone“ begannen, ahnte niemand, was passieren würde. Kevin Costner spielte eine Hauptrolle, okay, aber der hat seine große Zeit in den 1990er Jahren gehabt. Und dann startete 2018 die erste Staffel dieser modernen Westernsaga und ging durch die Decke. Prompt tummelten sich die Fans vor dem Eingang und störten den normalen Betrieb. Mittlerweile gibt es Ableger, die die Geschichte der Familie Dutton durch die Jahrzehnte begleiten, eine spielt im Jahr 1883, eine weitere 1923 – hier spielen Harrison Ford und Helen Mirren die Hauptrollen – wieder eine soll 1944 spielen.
Der Erfolg der Serie ist in Deutschland schwer zu greifen, wenn man sich nicht die Die Amis wählen ja auch Betrüger und Frauenschinder zu ihrem Präsidenten-Brille aufsetzt. Manche Filmkritiker haben die Serie gleich in der reaktionären Ecke abgelegt. Und es geht ja auch um harte Männer. Du-oder-ich-Kerle, bist Du nicht stark genug, nehmen sie Dir Dein Land weg. Also braucht’s den starken Mann? Sonst nehmen sie uns die USA weg? Die stärkste Figur in der Serie ist eine Frau, Beth, die Tochter des Hauses mit höchst eigenem Kopf, brillante Hedgefonds-Managerin, Trinkerin, die den Kerlen schon mal in die Testikel tritt. Der besonnene Sohn hat eine Indigene geheiratet, ist ein liebevoller Vater, fragt grundsätzlich erst und schießt dann aber vielleicht doch. Die Mitglieder der Dutton Ranch – Familie, Vorarbeiter, Cowboys und -girls(!) – schildern eine Gesellschaft, die sich nichts gefallen lässt, sich loyal um das Familienoberhaupt sammelt, ohne Klassenunterschiede gemeinsam feiert, Konflikte intern löst und Verräter hinrichtet. Das ist der vielstimmige Klang der in den Medien gespiegelten USA in dieser Zeit, in dem sich Demokraten genauso wiederfinden wie Republikaner.
Nachdem ich gerade eine Woche durch dieses Montana mit seinen wunderbaren Landschaften in den endlosen Weiten gefahren bin, weit und breit keine Siedlung, kein Krach, fällt mir ein Satz ein, den Danny Huston in der ersten Staffel über das Ostküsten- und Westküsten-Amerika sagt – er spielt einen Investor, der den Duttons ihr Land streitig machen will: „Städte sind die Sonnenuntergänge der Zivilisation, Denkmäler einer ausgelaugten Landschaft.“ „Yellowstone“ feiert die Rückkehr aufs Land, auf dem man sich um die eigenen Angelegenheiten kümmert.
Natur, zu groß für die Kamera
Durch dieses Land abseits der Städte bin ich dann weiter gefahren, über Berge, enge Serpentinen, Hügellandschaften mit Weidegrund und am Fuß der Berge, schon in Idaho, weitet sich das Land von ganz links bis ganz rechts, hinter mir die Rockies, und vor mir ein schnurgerader Highway, der meilenweit immer nur nach Süden geht. Ich habe versucht, diese Schönheiten mit meiner Kamera aufzunehmen. Aber die natürliche Größe verweigert sich dem kleinen Blickfeld in meinem Sucher.
Auch morgen lasse ich die Stadt links liegen – in diesem Fall Salt Lake City – und besuche einen Salzsee ohne See.