The Aftermath
Am Tag danach scheint die Sonne. Im Frühstücksraum piepst der Waffelbackautomat, draußen fahren Autos, nirgendwo steigt der Rauch brennender Barrikaden auf.
In Billings geht an diesem Tag alles seinen Gang. Die Stadt mit ihren 110.000 Einwohnern wird, so wie der Staat Montana insgesamt, die Republikaner gewählt haben – Billings gehört zum Yellowstone County, da haben in allen vier Abstimmungen die Republikaner klar besser abgeschnitten. Als ich durch die Straßen der Stadt laufe, habe ich den Eindruck, die Wahl hat nur im Fernsehen und den Social Media-Portalen stattgefunden. Auf der Straße ist, anders als in den wüsten Prophezeiungen im Vorfeld, Alltag.
Im Fernsehen haben die Analysten Hochkonjunktur, bei FOX-News empören sie sich, dass die Demokratin ihre Niederlage immer noch nicht eingestanden hat, und vergessen dabei, dass die Demokraten ihrerseits seit vier Jahren darauf warten, dass der damalige republikanische Kandidat seine Niederlage eingesteht.
Meine Timelines bei Facebook und Instagram füllen sich mit Häme, Wut und Herablassung den zig Millionen Wählern gegenüber, die den Republikaner gewählt haben. Den Memes, Kommentaren und Zoten zufolge haben wir es in den USA mit zig Millionen dummen Kälbern zu tun, die gemäß der Weisheit „Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“ vorgegangen sind. Ich sitze in Billings an einem Ecktisch in einem Diner. Durch das große Fenster scheint die Sonne herein. Hinter der Theke witzeln ein Sunnyboy, eine Asiatin, ein Afroamerikaner und eine Latina. Worum es geht, ist nicht zu verstehen, der Sunnyboy spielt mit der Sprühsahne und verschiedenen Tassen, die er den anderen in die Hand drückt. Sie wirken nicht wie dumme Kälber, aber ich weiß natürlich auch nicht, wen sie und ob sie überhaupt gewählt haben.
Ich weiß nicht, was die Sendboten der herablassenden Memes unternommen haben, um die Menschen hier (oder daheim) davon zu überzeugen, nicht den Republikaner (oder die AfD) zu wählen. Herablassende Memes zu verteilen ist ja noch kein Akt der Aufklärung, sondern im besten Fall hilflose Besserwisserei. In Billings stehen drei Ölraffinerien. Nicht fernab der Stadt, nein, gleich am Stadtrand. Die Menschen hier leben von den Jobs in der Raffinerie, manche vielleicht auch von den Aktien dieser Raffinerien. In Viehzucht und Getreide finden sich – neben dem Servicesektor – die übrigen Jobs in der Stadt. Dazu gibt es drei Bildungseinrichtungen: die Montana State University Billings, die Montana State University – College of Technology sowie das Rocky Mountain College. Die Menschen, die mir hier auf der Straße begegnen – es sind nicht viele; am frühen Nachmittag wird hier gearbeitet – sind also nicht automatisch wenig gebildet. Dabei legen erste Wahlanalysen nahe: Je niedriger der Bildungsgrad, desto Republikaner.
Sie leben hier von ihrer Hände Arbeit, nicht davon, sich international zu vernetzen, kluge Aufsätze in überregionalen Zeitungen zu schreiben, Analysen in Blogs und Podcasts zu verbreiten. Das sieht man Billings an. Auf den ersten Touristenblick attraktiv ist die Stadt nicht (was sich auf den zweiten Blick relativiert). Zwei große Hotels haben Türme in der Stadt, zwei weitere charmant heruntergewohnte Altbauten, am Interstate in der Peripherie ballen sich die üblichen Motelketten. Signature-Bauten von Stararchitekten für das ansässige Art Museum oder Science and Discovery Museum sucht man vergeblich. Das lässt darauf schließen: Die Fremden in der Stadt sind hauptsächlich Geschäftsreisende, Handelsvertreter, mittleres Management und mal das ein oder andere Vorstandsmitglied, das sich zwischen Hotelzimmer, Besprechungsraum und Hotelbar bewegt. Ansonsten besteht die Stadt aus maximal fünfgeschossigen Bauten, meistens Ziegelbauten, in denen man Cafés, Eisdielen, Restaurants, aber auch Reifenhändler und alteingesessene Hutverkäufer findet. Eindruck: Tagsüber wird gearbeitet, abends in den Cafés und Kneipen abgehangen. Klingt wie ein Klischee? Jedes gute Klischee speist sich aus der Realität.
Washington D.C. ist am anderen Ende der Welt. Eigentlich nur am anderen Ende des Kontinents, aber der Kontinent ist für die US-Amerikaner eben die Welt. Präsident Joe Biden war kürzlich in Deutschland? Ich glaube, ich habe hier eine kurze TV-Moderation vor Bildern im Hintergrund (Fachsprech: Mod plus MAZ) dazu gesehen. Wenn hier vom Ausland die Rede ist, dann von Gaza/Israel oder auch mal von der Ukraine. Ansonsten ist der US-Kontinent groß genug, um die US-Nachrichten mit US-Geschichten zu füllen. Präsidentschaftswahlkampf findet in Staaten wie Montana kaum statt. Die Demokratin kommt nicht, weil sie sich eh keine Chancen ausrechnet, der Republikaner nicht, weil er die Stimmen ohnehin im Sack hat. Wahlkampf wäre Geldverschwendung. In Kalifornien, nur der Vollständigkeit halber, gilt dasselbe Prinzip, nur andersherum. Hier hat die Demokratin die Stimmen ohnehin im Sack.
Der Republikaner war, abseits dieser Regel, kürzlich im Madison Square Garden, NYC, sicheres Demokratengebiet, ließ dort Puerto Rico als Müllhaufen im Atlantik verspotten, was Analysten und TV-Kommentatoren in tagelange Aufregung versetzte; und dann machte John King mit seiner Magic Wall auf CNN gestern Abend deutlich, dass der Republikaner 41 Prozent der Latinos im wichtigen Swing State Pennsylvania für sich gewinnen konnte, 17 Prozent mehr als bei der Wahl vor vier Jahren. In Pennsylvania leben viele Latinos, vor allem solche aus Puerto Rico. Womöglich konnten die mit dem demokratischen Thema Abtreibung weniger anfangen, als mit dem republikanischen Thema Sicherheit. Und womöglich haben sie die Geschichte mit dem Müllhaufen im Atlantik, anders als die Kommentatoren in den Medien und Podcasts, als übliches Wahlkampfgeklingel abgetan. New York hat der Republikaner freilich dennoch nicht gewonnen.
Wie soll in einem Staat wie Montana, Kalifornien, Texas oder Oregon eine kontroverse politische Diskussion entstehen, wenn die Kandidaten mit den Wählern dort aus unterschiedlichen Gründen nicht sprechen? Nicht, dass da nicht auch diskutiert wird. Aber eben nicht mit Argumenten aus anderen Himmelsrichtungen auf der nationalen Bühne, wo nur die Staaten und Menschen stattfinden, die die Kandidaten auch besuchen. In der heißen Phase konzentriert sich der Wahlkampf ums Weiße Haus auf die Swing States, das sind sieben von 50.
Hauptsächlich sind die Leute hier oben Handwerker, nicht Demokraten oder Republikaner. Mit dem Staat, gar einer Regierung hat der Amerikaner per se nicht so viel am Hut. Hier ist wahrlich jeder seines Glückes Schmied – Betonung auf seines Glückes. Für das Glück des Anderen ist der Andere zuständig, was zum Beispiel der andauernde Kampf um eine allgemeine Krankenversicherung deutlich macht. Auch die Rechnung im Restaurant macht das deutlich. Der Gastronom weist auf der Speisekarte nur aus, was er für seine Leistung berechnet. Die Steuer, die der Staat für die Bezahlung der Leistung verlangt, taucht erst auf der Rechnung als gesonderter Posten obendrauf auf, damit ganz klar ist: Hey, ich als Gastronom habe damit nichts zu tun. Dass es teurer wird, musst Du mit der Regierung abmachen.
Auch in Montana gibt es Menschen, die die Demokraten gewählt haben. Nur eben weniger als 50 Prozent und weil das Winner takes it all-Prinzip gilt, fallen diese Stimmen unter den Tisch. Und die anderen? Haben ihren Alltag, ihre Jobs, ihre Familien, ihre Überzeugungen. Und Werbespots, in denen es heißt „Get out. Have some Fun. Toyota Trucks!“ Also Trucks nicht zum Transportieren von … Sachen, sondern zum Spaß haben. Jetzt zu haben schon für monatliche Raten ab 499 Dollar. Der Umweltgedanke spielt da keine Rolle. Ist das gedankenlos? Ja. Umweltschädlich? Ja. Dumm? Im weitesten Sinne … ja!
Und weiter?
Aus republikanischer Sicht kann man so eine Argumentationskette auch schmieden, da gerät dann das ultimative Recht am eigenen Körper zum ersten Schritt, dass die Menschheit ausstirbt. Da gerät der Klimaschutz zum Attentat auf den Way of Life, der seit Generationen mit Öl oder Kohle funktioniert; und dass neue Technologie keine neuen Arbeitsplätze für die alten Öl- und Kohle- und Stahlarbeiter liefert, zeigt das Schicksal der republikanischen Brüder und Schwestern in den Staaten des Rust Belt, des Rostgürtels, in dem die alte US-Industrie vor sich hin rostet. Ich muss diese Sicht auf die Dinge nicht teilen. Ich nehme sie aber zur Kenntnis als etwas, das ich nicht mit Herablassung und Memes aus der Welt schaffe.
Ich bin in den vergangenen Wochen vor allem durch Republikanerland gefahren, bin an Tankstellen und in Bars Kerlen in Flecktarn, ZZ-Top-Bärten, einsachzig groß, einsachzig breit, die in riesigen Pick-Ups vorfahren, begegnet. Da habe ich mich nicht immer wohl gefühlt – in solchen Fällen spielt mein Kinohintergrund mir leider die falschen Bilder aus. Dann stelle ich fest, die lächeln genauso freundlich, wie die Lady an der Kasse, wenn man ins Where-are-You-from-Gespräch kommt – ich bin da immer Felix aus Germany, der Kino macht. Aber klar ist auch immer, das sind Don’t bullshit me-Typen mit einem anderen Leben, denen ich besser nicht mit einem blöden Meme komme. Aber mit einem Elektroauto? Zu teuer. Pete aus South Dakota fährt seinen Pick-Up seit neun Jahren. Was Neues kommt für ihn „bei den Preisen“ nicht in Frage.
Der Republikaner wird am 20. Januar 2025 Präsident werden. Es werden weltpolitisch vier harte Jahre folgen. Vielleicht wird es sogar noch schlimmer: Der President elect sagte im Wahlkampf, er werde am ersten Amtstag als Diktator agieren. Er sagte auch Geht wählen, es wird Eure letzte Wahl sein, zu der Ihr gehen müsst.
Okay, blöd gelaufen gestern, aber aus meiner Sicht hier mittendrin im Nordwesten nachvollziehbar. Jetzt müssen wir damit umgehen. Der Mensch ist insgesamt ein auf Verschleiß konstruiertes System – es ist ja nicht so, dass die nicht republikanischen Menschen alle ohne Umwelt-Fehl und Menschenrecht-Tadel wären. Unsere Aufgabe wird es sein, den Verschleiß so lange wie möglich hinauszuzögern. Dazu werden wir die Kälber genauso brauchen wie die Besserwisser.
3 Kommentare
Jakob Hartung
Tolles Fazit!
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