Eingangsbereich des Blossom Hotel & Suites in Traverse City
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Freude schöner Untergang

Im Fernsehen zählen sie mittlerweile die Tage. In kaum einer der großen Nachrichtensendungen oder Gesprächsrunden fällt nicht früher oder später der Aufmachersatz: „Noch x Tage bis zur November Election!“ Aktuell sind es noch 11 Tage.

Die großen alten Networks – ABC, CBS, NBC – durchaus der Marktwirtschaft, aber auch noch den alten journalistischen Standards verpflichtet, bemühen sich nach Kräften, den republikanischen Kandidaten ins rechte Licht zu rücken. Vor einigen Tagen hat John Kelly, ehemals Stabschef des ehemaligen, wieder kandidierenden Präsidenten seinen damaligen Chef als Faschisten bezeichnet. Seitdem werden Definitionen diskutiert, was ein Faschist ist und wie sich die Aussage auf die Wahl auswirken wird. Jetzt wird der Kandidat auch noch mit dem Wunsch zitiert, er hätte gerne Generäle, wie die von Adolf Hitler; und sein Unterstützer, der Multimilliardär Elon Musk hat offenbar Kontakte zu Wladimir Putin. Die Late Night Shows kriegen sich gar nicht mehr ein vor Freude.

Nur Fox, betont republikanisch, hält dagegen, beleuchtet in Nachrichtensendungen „schwache Auftritte“ der demokratischen Kandidatin und diskutiert in Gesprächsrunden die „lächerliche Bilanz“ nach dreieinhalb Jahren Biden/Harris-Regierung. Der Stimmung nach zu urteilen leben wir in Zeiten des Untergangs.

Klar ist, dass TV-Sender an der Wahl-Entscheidung kaum etwas ändern werden. Die demokratische Kandidatin war heute Abend bei Stephen Colbert, CBS, zu Gast. Großer Applaus, Jubel. Aber Stimmen in das eine oder andere Lager wird das nicht geben. Die meisten Menschen sind fest gelegt. Wer FOX guckt, wählt republikanisch, die CBS-Zuschauer sind mehrheitlich eher auf der demokratischen Seite. Solche Auftritte nutzen also nur bedingt.

Apokalypse im Werbeblock

Richtig ab geht es derweil in den Werbespots, in denen ich zwar auch von der Demokratin erfahre, dass sie Steuern senken will und vom Republikaner, dass er Grenzen schließen will. Aber vor allem gehen sich die Kontrahenten gegenseitig an die Gurgel. Eine junge Frau, die laut Werbespot mit 12 Jahren von ihrem Stiefvater missbraucht und geschwängert wurde, beklagt, dass der Republikaner sogar in ihrem Fall eine Abtreibung unmöglich machen will. Eine Hausfrau, die sich sichtbar mit ihrem Alltag abmüht, erklärt, die Demokratin gebe die wertvollen Steuer-Dollars für Migranten und Geschlechtswechsler aus, statt dafür zu sorgen, dass „hart arbeitende Amerikaner“ über die Runden kommen. Der Republikaner will demnach die Reichen („You’re rich as Hell!“) steuerlich entlasten und das Leben für den Durchschnittsbürger verteuern. Die Demokratin wird für die Kriege in der Ukraine und in Gaza und für „Horden“ „Bauch aufschlitzender“ „Vergewaltiger“, die ins Land strömen, verantwortlich gemacht.

Dann werden ja auch noch State Representatives, Senatoren und andere bundesstaatliche Entscheidungsträger gewählt. Da ist der eine Kandidat von der Pharmalobby gekauft, die andere Kandidatin will die Polizei kaputt sparen. So richtig informativ, also im Sinne von Informationsvermittlung, ist das alles nicht, wirft aber ein Schlaglicht auf die politische Diskussion im Land. Es heißt ja immer, die Amerikaner seien uns in allem etwa zehn Jahre voraus, was dort passiere, werde irgendwann auch in Deutschland Alltag – Zukunft, mir graut vor Dir.

Sitzbadewanne statt Treppenlift

Abseits der politischen Schlägereien gehören die meisten Werbespots den Pharmaunternehmen. Da werden Abnehm-Spritzen zum Sonderpreis beworben; eine App, mit der man Viagra für ein Zwanzigstel seines eigentlichen Preises auf dem freien Markt bekomme; vermeintlich echte Influencerinnen räkeln sich vor der Kamera für ein Dings namens Bluechew, das, wie sich verklausuliert herausstellt, dem Mann seine Vormachtstellung im Bett wieder geben soll. Es gibt medizinische Kuren, die länger jung halten und Tinkturen, die das Fitnesstraining ersetzen sollen. Was bei uns der Treppenlift, ist hier die Sitzbadewanne: die Garantie, im Alter im eigenen Heim bleiben zu können. Bei all diesen Spots ist der abschließende, alle Haftungen des Anbieters ausschließende „Zu Risiken und Nebenwirkungen …“-Absatz länger, als die eigentliche Produktinformation. Und dann stehe ich im Supermarkt und da ist der Pharmacy-Bereich prominent in Eingangsnähe eingerichtet und größer als der für Obst, Gemüse und die Frühstücks-Cerealien.

Mir geht die Opioid-Krise durch den Kopf. Rund 841.000 Menschen sind zwischen 1999 und März 2021 an einer Überdosis ums Leben gekommen. Das waren nicht etwa 841.000 Junkies. Das waren 841.000 Menschen, denen vom Arzt ein Opioid-Schmerzmittel verschrieben worden war. Die Patienten waren in die Drogenabhängigkeit getrieben worden. Am Anfang dieser Krise standen offensiv gesetzte Werbespots, die das verschreibungspflichtige Schmerzmittel Oxycontin nicht nur als schmerzstillend anpries, es sollte auch nicht abhängig machen.

Der Markt regelt das nicht

Heute vor vier Wochen stand ich am Ufer des East River und bestaunte die Skyline Manhattans mit der Brooklyn Bridge davor. Wenige Stunden zuvor erst war ich gelandet. Jetzt sind 28 Tage rum, in denen ich viele schöne Momente, aufregende Erlebnisse, hysterische Eltern und liebevolle Reiseführerinnen erlebt habe. Ich will keinen Tag missen. Aber eine Art Schockstarre ist da schon auch angesichts dieser offenbar wenig regulierten Marktmacht potenter Anbieter, die im schlimmsten Fall – Ja, sorry, ist blöd gelaufen – Menschen in den Tod schickt. Augenscheinlich regelt der Markt nicht alles. Setzt sich auch das irgendwann bei uns durch?

Anderes hat sich schon durchgesetzt. Achtung, jetzt kommt ein Ohrwurm: Radiohörer in Deutschland treibt es scharenweise in den Beinahe-Fenstersturz, wenn der fröhliche Automechaniker in der Werbung erklärt, wie gefährlich ein Einschlag eines kleinen Steinchens auf die Windschutzscheibe sein kann, die man doch ”kostenlos“ – als würde einen die Autoversicherung nichts kosten – austauschen lassen könne. Und dann singt eine Frau „Carglass repariert, Carglass tauscht aus“.

Nicht nur Deutsche machen schlechte Werbung

Ich bin auf die andere Seite der Welt geflogen und was höre ich, als ich die Fernsehnachrichten einschalte? „Safelite repairs, Safelite replace“. Zur selben Melodie. Ich lerne: Carglass ist gar keine genuin deutsch nervende Autoscheibenwerkstatt. Die Mutter sitzt in Belgien und ist südafrikanischen Ursprungs. Das sind Vorurteile: Ich war jahrzehntelang der Überzeugung, es handele sich um ein mittelständisches deutsches Unternehmen, in dem der Patriarch noch selbst dichtet, weil diese Werbung so nervtötend ist.

Blossom Hotel & Suites in Traverse City
Mein Hotel für die kommenden zwei Tage

Und wie war mein Tag so? Ich habe den Standort gewechselt, bin jetzt in Traverse City im Nordwesten der Peninsula. Wetter war wolkig heute, da hat’s mich nicht in Besichtigungen getrieben. Ich habe eingekauft (unter anderem eine Schüssel Obst), meine Wäsche auf Vordermann gebracht und im rauschenden Wind dem Lake Michigan beim Wellen schlagen zugesehen.

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