Minneapolis, MN
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MacGuffin in Minneapolis

Wenn ich eine fremde Stadt erkunde, ist es immer hilfreich, wenn ich eine Aufgabe habe, die mich vorantreibt. Alfred Hitchcock nannte das einen MacGuffin. Irgendwas, was seine Hauptfigur, um die es ihm eigentlich geht, antreibt. In seinem Mann, der zuviel wusste (1956) wird von einem anstehenden politischen Attentat erzählt, das dann weiter keine Rolle spielt, aber die Familie im Mittelpunkt des Films – James Steward und Doris Day – in tödliche Gefahr bringt. In Der unsichtbare Dritte (1959) gibt es ein Geheimdienstkomplott, das inhaltlich unwichtig bleibt, aber den von Cary Grant gespielten Werbefachmann in höllisch unterhaltsame Kapriolen treibt. Wichtig ist nicht der Inhalt des MacGuffin, wichtig ist, dass er die Hauptfigur in Bewegung bringt.

Mein MacGuffin ist eine Postkarte.

Ich habe gerade keinen Reiseführer. Der „USA – Die großen Seen – Chicago“ ist durch. Für „USA – Der Westen“ bin ich noch nicht weit genug auf meiner Reise. Und für die Region Minnesota gibt es gedruckt beleidigend wenig Material. Also habe ich mir die Eckpunkte für meinen Aufenthalt hier im Netz zusammen gesammelt – bei der gewöhnungsbedürftigen, aber dann sehr abwechslungsreichen Seite visittheusa.com, natürlich bei WIKIPEDIA, und via Google und YouTube habe ich auch das ein oder andere gefunden.

Minneapolis ohne Musik ist überschaubar

Nun ist es bei mir ja so, dass ich mir Städte gerne von außen angucke. Ich gehe nicht in die örtlichen Theater, vielleicht mal in ein Kino, und auch die Museen meide ich, auch wenn da bisweilen prachtvolle alte Meister oder grandiose 70er Jahre Popart an den Wänden hängt. In Minneapolis sind die touristischen Must Sees überschaubar. Da ist der Sculpture Garden, in dem ich gestern schon war. Da sind die Saint-Anthony-Fälle des Mississippi mit der malerischen Stone Arche Bridge im alten Mühlenviertel. Da ist die Mall of America, Größte Mall der USA.

Und dann ist da das Kapitel „Musik“, das nicht an mich herangeht. Zu Jazzclubs oder gar zu Prince habe ich keine Beziehung, obwohl dessen Paisley Studios Bestandteil seines Films „Purple Rain“ waren und dort diverse Kostüme und Gegenstände aus dem Film ausgestellt sind. Mich lässt sogar das unbewegt. Prince ist für mich wie Lebertran. Wichtig (für die Musikgeschichte), aber bitte nur im Notfall nehmen.

Long Story short: Stone Arche Bridge und Saint-Anthony-Fälle sind an einem Ort und in einer Stunde raumgreifend ausbesucht. Was mache ich dann mit dem restlichen Tag? Wo gehe ich hin, wenn es keine Minneapolis-Version des Empire State Building gibt und die nicht vorhandenen Reiseführer mir einen Besuch im Jazzclub nahelegen? Ich gehe Postkarten kaufen.

Kleine Häuser ums hohe Zentrum

Minneapolis war im 19. Jahrhundert die „Mehlmetropole der Welt“. 1880 stand hier am Mississippi die größte Getreidemühle der Welt, die Washburn A Mill. In der ist heute das Mill City Museum, in dem man sich die Vergangenheit der Stadt anschauen kann. Betrieben wurde die Mühle über die Stromschnellen des Flusses an dieser Stelle, welche Wasserfälle zu nennen, schon 1880 ein bisschen euphemistisch war, aber sicher war der Fluss im 19. Jahrhundert hier noch wilder und gefährlicher. Die Menschen haben ihn ordentlich eingehegt und gezähmt, ihren Bedürfnissen unterworfen. Heute stehen die Mühlen still, der grüne Besucherpark rund um das Mühlenviertel ist wegen Bauarbeiten geschlossen und die US Army unterhält einen Stützpunkt am Fluss.

Apropos Parks: Minneapolis ist voll davon, kleine und große, mitten in der Stadt. Ganz mittendrin dominieren auch hier Hochhäuser, häufig Glas und Stahl, dazwischen auch mal interessante architektonische Versuche und dann, bitte, NYC, verzeih diesen Vergleich, gibt es da doch so etwas, wie das Empire State Building. Nicht mal halb so hoch, kaum so imposant, aber in irgendeinem der vielen Texte, die ich überflogen hatte, stand, dass der 1929 erbaute Foshay Tower ein Wahrzeichen der Stadt sei und man von da oben eine schöne Aussicht habe. Heute geht der Foshay zwischen den jüngeren, viel höheren Bauten unter, ist aber, wenn man davor steht, immer noch ein charmanter Hingucker. Kaum verlässt man das Hochhausviertel, knickt die Höhe der Stadt radikal auf zwei, höchstens vier Geschosse ein. Da wirkt die Stadt dann, wie eine der vielen gemütliche Kleinstädte, die ich in den vergangenen Wochen durchfahren habe, nur dass diese hier kaum enden will.

Vorgarten in Minneapolis zu Halloween 2024Café in Minneapolis für die MacBook-ArmeeMinneapolis, MN, hinter DowntownMinneapolis, MNMill City Museum in Minneapolisstillgelegte Washburn A Mill in MinneapolisSaint-Anthony-Fälle am Ufer des Mississippi Rivers in MinneapolisPillsbury's Mühle in Minneapolis – Betrieb 2003 eingestelltStone Arche Bridge an den Saint-Anthony-FällenFoshay Tower in Downtown MinneapolisDowntown Minneapolis, MNKurz vor Halloween in Minneapolis, MN
Vorgarten in Minneapolis zu Halloween 2024
Café in Minneapolis für die MacBook-Armee
Minneapolis, MN, hinter Downtown
Minneapolis am Fluss
„Mill Ruins Park“
Mill City Museum
stillgelegte Washburn A Mill in Minneapolis
Saint-Anthony-Fälle am Ufer des Mississippi Rivers
Pillsbury’s Mühle – Betrieb 2003 eingestellt
Stone Arche Bridge an den Saint-Anthony-Fällen
Foshay Tower in Downtown
Downtown Minneapolis
Kurz vor Halloween in Minneapolis

Wieso weiß ich das? Weil ich rumgewandert bin. In Deutschland war der Wunsch an mich herangetragen worden, doch eine Postkarte zu schicken für den heimischen Kühlschrank. Wo gibt es in einer amerikanischen Großstadt noch Postkarten zu kaufen? Nicht bei der Post, soviel vorweg. Zeitschriftenläden gibt es nicht. Tankstellen haben zwar Zeitschriften, aber keine Postkarten. Ich fragte rum, traf auf Stuart hinter einer Bar, der seit 13 Jahren in der Stadt lebt, ursprünglich aus Alabama kommt und für nichts in der Welt hier wieder weg möchte; Minneapolis sei aufregend, abwechslungsreich, Sommers wie Winters wunderschön und mache dabei nicht so auf dicke Hose, wie gewisse andere Städte. Der heißeste Tipp in Sachen Postkarten kam in so einem riesigen Supermarkt, in dem es alles gibt, Regale lang Grußkarten zu jeder Gelegenheit, aber keine Postkarten, ich solle es in einer Pharmacy probieren. Das leuchtete ein: Wenn ich Batterien oder Speicherkarten für meine Kamera brauche, gehe ich hier auch nicht in den Elektronikmarkt, sondern in die Pharmacy. Die sind da gut sortiert in solchen Sachen. Nur Postkarten führen auch sie nicht.

Das Land der 10.000 Seen

Auf diese Weise streifte ich kreuz und quer durch die Stadt, sah mehr, als mir jeder Reiseführer hätte sagen können – und fühlte mich in der Stadt wohl. Die Menschen wirken nahbar. Interessiert. Die Stadt ist eher kein Ziel für einen ausführlichen Urlaub. Das wäre so ähnlich, wie wenn man zwei Wochen Hannover buchen würde. Nimmt man aber Minneapolis als vielfältig interessanten Start und Ziel einer Reise in die größere Umgebung, die im Norden 250 Kilometer weit bis nach Duluth am Lake Superior reicht (womit wir zurück an den Großen Seen wären), dann kann man es als Reisender hier eine Weile gut aushalten. Minnesota nennt sich nicht zufällig „Land der 10.000 Seen“.

Die Postkarten habe ich nicht bekommen. Der Ratschlag, es doch mal im Visitor’s Center zu versuchen, kam zu spät. Als ich dort um kurz nach vier anklopfte, hatten sie gerade geschlossen. War aber nicht so entscheidend. Der MacGuffin hatte seinen Zweck ja erfüllt: Ich war rumgekommen.

Morgen bin ich in der – mich in der Vorstellung doch ein wenig gruselnden – Mall of America. Da sollte es in einem der 520 Geschäfte doch eine Postkarte geben.

Und wenn nicht, sind es die falschen Geschäfte – wahrscheinlich langweilige Boutiquen; dann fahre ich halt nochmal Downtown, bin vor 16 Uhr im Visitor’s Center und trinke anschließend bei Stuart aus Alabama ein Bier aus den hiesigen Kleinbrauereien.

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