
All of America
Ein Paradies zeichnet sich dadurch aus, dass es einem da so gut geht, dass man irgendwann über die Stränge schlägt, Regeln verletzt und dann des Paradieses verwiesen wird. Vielleicht gibt es in der Mall of America (MOA), dem als „Größte Mall der USA“ bezeichneten Shopping-Paradies, deshalb keinen Supermarkt mit Obst- und Gemüsestand. Am Ende greift eine Mutter noch unbedacht zum Apfel, woraufhin ihre ganze Familie aus dem Paradies rausgeworfen wird und dort kein Geld mehr ausgeben kann.
Alles in der MOA ist auf das Geld einer möglichst breiten Kundschaft ausgerichtet. Im Grunde ist sie ein großer Freizeitpark, in dem man vorne Eintritt zahlt, dafür die Attraktionen for free hat und dann bei all den Kleinigkeiten – Getränke, Burger, Fanartikel – zur Kasse gebeten wird.
Die Mall of America hat eigene Abfahrten vom Interstate und riesige Parkhäuser. Die S-Bahn der Minneapolis Blue Line verbindet Downtown mit der MOA, was ganz praktisch ist, weil die auf ihrer Strecke bei mir vor der Motel-Tür hält, gleichzeitig unpraktisch, weil alle acht Minuten, DingDingDing, draußen die Schranke runter geht und die Bahn dann in die eine oder andere Richtung vorbei rumpelt bis nachts um drei.
Tanktop, Sofa, iPhone
Im direkten Umfeld der Mall Of America gruppieren sich Häuser großer Hotelketten. Offenbar gibt es eine genügend große Anzahl wiederkehrender Menschen, die hier auch zwei Tage – oder drei? – shoppen gehen.
Wie in jeder Mall gibt es unendlich viele Klamottenläden. Dazu kommen Läden für Elektronikspielzeug und –Spiele, als größter US-Warenhausbetreiber natürlich Macy’s, Schokopralinen-Händler, verschiedenste Schuhgeschäfte, Einrichtungsideenverkäufer, Handtaschenhändler, die Drogerie-Kette Wallgreens, Giftshops und natürlich einen Apple-Store. Das reiht sich alles über zwei Etagen aneinander, unterbrochen von dem ein oder anderen Imbissstand, an denen von Dunkin‘ Donuts über Eiscreme bis Cookies alles für das kleine Geld auf dem Weg nach oben angeboten wird. Dort dann, oben, sind die Burgerläden, die Burritoläden, die Tacoläden, die Sushiläden, die Korealäden, der unvermeidliche Bubba Gump, der als Franchise aus dem Film Forrest Gump (1994) hervorgegangen ist und offenbar erfolgreich gemanagt wird. Burger King und McDonald’s sucht man vergeblich.
Riesenrad unterm Hallendach
Im Zentrum all der Shopping- und Futtermöglichkeiten steht das Entertainment. Geboten werden ein Haunted House, ein Laser-Tag, ein Virtual-3D-Combat-Playground. Und ein Jahrmarkt mit Riesenrad, Kettenkarussell, Achterbahn, Autoscooter, Schiffschaukel, Wildwasserbahn, Krake und Geisterbahn – gesponsert von Nickelodeon, dem Kinderfernsehkanal, bei uns vor allem bekannt als Haussender von Spongebob Schwammkopf. An einem ordinären Mittwoch ist hier nicht viel los. Die meisten Geräte stehen still. Das Personal setzt sie aber tapfer lächelnd sofort in Gang, wenn auch nur ein schüchternes Pärchen im Gefährt Platz nimmt. Hier kommt das Eintritt zahlen ins Spiel, das ich vier Absätze weiter oben erwähnt habe.
Natürlich muss man zum profanen Shopping keinen Eintritt zahlen. Aber wer kommt schon zum profanen Shopping hierher? Einen ZARA-, einen LEVIS- oder Abercrombie-&-Fitch-Store findet man in den USA an vielen Stellen. Für nur 52,49 Dollar plus Tax kann man auf dem Spongebob-Jahrmarkt einen ganzen Tag lang das liebe Kleine beschäftigen, während erst Papa, später Mama aufmerksam die Geschäfte durchstreifen. Hat man zwei liebe Kleine, verdoppelt sich der Preis natürlich. Dafür wird es billiger, wenn man die lieben Kleinen zwei Tage ruhig stellen will – ein Zwei-Tage-Ticket auf dem Jahrmarkt des Shoppingparadieses kostet nur noch 64,99 Dollar plus Tax.
Überraschung in der Glasröhre
Damit sich der Shoppingbesuch für die ganze Familie auch moralisch amortisiert, besucht man das die Bildung der Kinder unterstützende Sea Life Aquarium, zu dem die einfache Karte 22,99 Dollar kostet. Aber wer außer mir beschränkt sich schon auf sowas? Wenn „Behind the Scenes“, ein Virtual Reality-Bereich und Digitalfotos von sich selbst vor Haien angeboten werden. Da geht es dann schnell bis 41,99 Dollar rauf, pro Person; immerhin dürfen Kinder unter einem Jahr ohne Ticket rein.
Ich war heute zum ersten mal in so einem Unter-Wasser-Aquarium. Ich bin im richtigen Ozean zu Clownfischen, Seeanemonen, Drachenfischen und sogar einem Hai getaucht. Das ist natürlich was anderes, als ein Aquarium, egal wie groß das ist. Aber unter Wasser durch eine Glasröhre zu gehen, die im diffusen blauen Licht mit der Umgebung verschmilzt, und dann gleitet ein Stachelrochen Zentimeter über mich hinweg, da habe ich doch ganz profan Hoppla, wie geil ist ist das denn? gedacht. Und das passiert wieder mit Schildkröten, Haien und den kleineren Fischen. Ich hatte Glück: Ich war rund 45 Minuten in den Gängen unterwegs und die meiste Zeit davon alleine.
Minneapolis geht, der Winter kommt
Diesen Umstand lernte ich in den letzten zehn Minuten zu schätzen, als sich eine Familie mit einem Dreijährigen näherte, dem kürzlich ein konkurrierendes Brüderchen geschenkt worden war, das neben ihm in einem Kinderwagen herum geschoben wurde (Kind unter einem Jahr), und der nun seine Position in der Familie, im Aquarium und überhaupt in der Welt sehr lautstark in Erinnerung rufen musste. Das spülte den Zauber der künstlichen Unterwasserwelt mit der soften Café-del-Mar-Musik den Bach hinunter; wurde aber entschädigt durch das Findet Nemo-Becken, in dem viele Fische aus dem Pixarfilm umeinander schwimmen, jede Menge Marlins, jede Menge Nemos und vor allem jede Menge Dories. Ich war entzückt.
Gleich, nachdem ich die Mall betreten hatte übrigens und mich an der Info erkundigen wollte, sah ich dahinter einen Zeitschriftenladen mit zwei voll geladenen Postkartenständern.
Meine Zeit in Minneapolis geht zu Ende. Und wenn ich den Wetterberichten der großen Networks glauben kann, auch die Zeit, in der ich im Polohemd am Nachmittag durch Städte streifen kann. Für mich geht es weiter in den nördlichen Westen, die grobe Richtung geben ein Filmklassiker von Alfred Hitchcock sowie ein Meisterwerk des frühen Steven Spielberg vor.
Sind aber zehn Stunden Fahrt bis dahin, erreiche ich erst übermorgen. Mal sehen, wo ich morgen Nachmittag lande.


2 Kommentare
Markus
Liebster Christoph, bitte verstehe mich nicht falsch, aber: von mir aus kannst Du noch die nächsten 5 Monate in den Staaten bleiben. Deine Reiseberichte sind einfach zu gut! Aber kann es sein, dass bei Deiner Reise der Süden zu kurz kommt? Was ist mit Texas, Florida, Louisiana? Sind da nicht auch wichtige Filme gedreht worden? – Aber jedenfalls sind die Berichte über Minneapolis (spontan liegt mir immer noch Milwaukee auf der Zunge) und die Mall super, und auf der nächsten Party hat man wieder viel Material, um kleine Geschichtchen unterzubringen. Bitte mehr davon!
Christoph Hartung
Richtig, in den von Dir genannten Staaten sind viele Filme gedreht worden. Aber von Texas abgesehen war ich da überall schon. Auf meiner aktuellen Reise will den noch blinden Fleck auf meiner USA-Karte bereisen.
Aber je nachdem, wie sich das Wetter hier im Norden der USA Richtung Rocky Mountains entwickelt, drehe ich auch noch nach Süden ab.