
Sommerfrische auf Martha’s Vineyard
Hier kann ich es aushalten. 30 Kilometer lang und an der breitesten Stelle 20 Kilometer breit. Blauer Himmel, ein paar Wattewölkchen und eine ordentliche, kühle Brise. So stelle ich mir Sylt vor, wenn es da so schön sein soll, wie behauptet wird.
Martha’s Vineyard indes als das Sylt der USA zu bezeichnen, da brächen sie hier alle vor Lachen zusammen. Die Zahl an Schönen, Reichen und Gesichtern ist hier schon groß, keine Frage. Die Obamas haben hier ein Haus, Oprah Winfrey ist bisweilen da; John Belushi hat es so gut gefallen, dass er sich sogar hier begraben ließ. Gleich nebenan, auf Chappaquidick, wohnt Meg Ryan (siehe: Harry und Sally), da lebt bisweilen der ein oder andere Kennedy – der damalige US-Senator Edward Kennedy hatte da 1969 einen Autounfall, bei der eine Frau ums Leben kam.
Die Goldtaler der Dagobert Ducks
Nochmal ein paar Kilometer weiter ist die Insel Nantucket, wo Herman Melville zu einer Zeit, als noch der Walfang hier für großen Reichtum sorgte, den Käpt’n Ahab angesiedelt hat, der den weißen Wal jagt. Egal, wohin man hier an der Ostküste der USA nördlich von New York schaut – sie nennen das hier nicht ihre „Goldküste“, weil das Land irgendwie gülden im Sonnenschein leuchtet. Es heißt „Goldküste“, weil sich hier die Dagobert Ducks der USA ihre Goldspeicher in Form von Zweit- und Drittwohnsitzen hingebaut haben. Martha’s Vineyard ist nur ein winziger Teil dieser Goldwelt.
Aber ein sehr schöner. Das Blau und Weiß in den Stars and Stripes könnte von hier kommen. Die Häuser stahlend weiß, der Himmel knackeblau. Das Rot könnte vielleicht der Wein beisteuern, der hier wächst. Die Insel heißt wie sie heißt, weil 1602 ein Forscher namens Bartholemew Gosnold sie so getauft hat – dessen Tochter hieß Martha und von der war er ebenso angetan, wie von dem wilden Wein, den er hier fand. Cabernet Sauvignon, Chardonnay, Chenin Blanc, Gewürztraminer, Merlot, Pinot Noir, sogar Riesling sollen Trauben sein, die hier reifen; auf der Karte oder im Laden gefunden habe ich sie allerdings nicht. Es wird übrigens „Vinyard“ gesprochen, nicht „Weinyard“. Ich habe heute eine einheimische Lady beim Frühstück angesprochen, die sofort sagte, in Deutschland sage man wohl „Weinyard“ (mein deutscher Akzent ist grässlich auffällig), die Einheimischen jedoch sagten „Vinyard“.
Der fantastische Irrsinn einer Filmproduktion
Ich war den Tag draußen und unterwegs zu meinen Jaws-Schauplätzen, bin am Leuchtturm im Kreis getigert, bis ich für die Szene mit dem verunstalteten Großplakat die Position gefunden habe, an der die Kamera gestanden haben muss, bin im Geist in den fantastischen Irrsinn einer professionellen Filmproduktion eingetaucht, bei der eine Szene, die an einem Ort spielt, an zwei Orten gedreht wird, die zig Kilometer voneinander entfernt liegen (verbunden mit dem Transport von Tonnen von Equipment); bei der ein Drittel eines zweigeschossigen Hauses gebaut wird, nur um einige, in den Augen des Regisseurs besondere Einstellungen davon drehen zu können, wie das Boot ORCA mit den Hai-Jägern den heimischen Hafen verlässt. Spielberg zeigt das Boot dann durch den aufgehängten Kieferknochen eines Hais, wie es gen Horizont aus dem Hafen tuckert. Heute ein ikonisches Bild. Damals eine sehr aufwändige Idee. Danach wurde das Haus wieder abgetragen. Wer sich für Film interessiert, oder dort arbeitet, weiß um diesen ganzen fantastischen Irrsinn. Ich auch. Beeindruckt hat es mich dennoch wieder: Der Werkzeugkasten eines Regisseurs ist unendlich.
Das Interessante aus heutiger Sicht ist: Dieses Kulissenhaus, das im Film Wohn- und Werkstatt des knurrigen Jägers Quint darstellt, wurde zwischen einem kleinen Restaurant und einem ebenso keinen Marktladen auf eine freie Fläche, eine Baulücke, gestellt. In diesem Zipfel der Insel gibt es besagten kleinen Hafen und ein paar Häuser. Man hätte diese Kulisse plus ein paar Devotionalien zum Film ordentlich vermarkten können, um ein bisschen Geschäft und Leben in diesen Zipfel der Insel zu bekommen. Wollte aber niemand. Wozu denn? Außerdem sind die Bauvorschriften der Insel streng, deshalb musste die Kulisse wieder weg.
Die Einwohner konterkarieren das Klischee der USA
Heute, 50 Jahre später, ist der Marktladen eine vernagelte Bretterbude, das ehemalige Drehgelände eine wilde Wiese, nur das Restaurant hat weiterhin eine sehr lebendige Wirtin, die jedem Spaziergänger schon durchs Fenster zuruft, welche Attraktionen heute unten im Hafen geboten werden – heute etwa ist es ein Treffen für Freunde klassischer Autos. Mehr Wirtschaftsförderung gibt es hier nicht. Diese Ecke ist das Tatooine der Insel.
Martha’s Vineyard versteckt ihren Jaws-Moment, den sie im Strom der Zeit kurz hatte, nicht. Sie beutet ihn aber auch nicht aus – was gar nicht zum Klischee passt, wonach die Amis geborene Verkäufer seien. Aber so tickt diese Insel offenbar. Die Lady am Frühstückstisch sagte was von, ach ja, die seien halt auch da, es sei doch schön, wenn sich diese berühmten Menschen für ihre Heimat begeisterten, da müsse man sie doch nicht auch noch dauernd belästigen. Die Gezeiten auf dieser Insel sind ein ruhiger Fluss. Dazwischen bewegen sich Menschen von außerhalb, die einen bestimmten Kamerawinkel suchen.
Morgen fahre ich weiter nach Cape Cod.


3 Kommentare
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Markus
Schöner Beitrag! Ich glaube, ich muss doch noch mal Jaws sehen, um diesen Blog im Einzelnen nachvollziehen zu können. Wann habe ich den das letzte Mal gesehen? Vielleicht 20 Jahre her. Mindestens.