
Längste Brücke, kleinste Hauptstadt
„Der Weg ist das Ziel!“ Einer dieser Sinnsprüche, die einem den Urschrei aus dem Rachen drücken können, wenn man im Stau steht und Gefahr läuft, den Anfang der Weltpremiere des neuen Spielberg-Films zu verpassen.
Heute hat er zugetroffen, der Sinnspruch. Meine nächste Etappe von Waterville in den White Mountains nach Waterbury in Vermont betrug nur rund 180 Kilometer, ein Katzensprung nach hiesigen Verhältnissen. Waterbury selbst besticht vor allem durch den größten Arbeitgeber am Ort, die Eiscreme-Manufaktur Ben & Jerry’s, die ich im Kino kennengelernt habe. Seitdem finde ich, ein gut sortiertes Kino in Deutschland führt Langnese im Angebot und vielleicht noch Ben & Jerry’s. Fabrizieren tun sie hier in Waterbury, VT.
Weil das Wetter gestern so wechselhaft war, habe ich unter einem strahlend blauen Himmel heute die Fahrt ein wenig ausgebeult, in Bath an einer der für die Region typischen Covered Bridges gehalten und später die kleinste Hauptstadt der USA angesteuert: Montpelier, Hauptstadt von Vermont, 8.000 Einwohner. Sehr gemütlich (ich habe schon wieder den Staat gewechselt: von New Hampshire nach Vermont). In der Innenstadt reiht sich ein Café an den nächsten Burrito Laden an die nächste Bar wieder an das nächste Café. Klamottenläden scheinen Eigengewächse zu sein, zu keiner Kette zu gehören. Der Verkehr fließt gemächlich – und das Sandwich mit Brombeeren auf Basilikum-Creme war mal nicht das Übliche. Die Cafés, die ich in Städten wie Mystic, Portland oder eben Montpelier probiert habe, bieten statt 08/15-Rhabarbartorte Überraschungen auf der Karte, die wirken, als hätte sich die jemand heute Morgen erst ausgedacht.

Die Covered Bridge, über die ich im vorherigen Absatz so nonchalant hinweg geschrieben habe, ist natürlich auch nicht irgendeine. Sie ist die längste Brücke dieser Art in New Hampshire. Erbaut 1832 ist sie auch eine der ältesten in den USA. Warum hat man sich die Mühe gemacht, Brücken zu überdachen? Zum einen wirken sie auf Pferde wie Scheuklappen im Rosenmontagszug. Die Tiere scheuten vor dem Geräusch des rauschendes Baches unter ihnen; über gedeckte, äußere Einflüsse ausblendende Brücken ließen sie sich leichter führen. Zum anderen sollten die tragenden Holzbalken vor Verwitterung geschützt werden. Holzschutzmittel gab es damals nicht, also musste eine normale Holzbrücke alle zehn, 20 Jahre saniert werden. Brücken wie die in Bath nicht. Ein Schild weist darauf hin, dass sie erst 1988 umfassend saniert wurde, 156 Jahre nach ihrem Bau.
Bei uns kennt man Gedeckte Brücken aus dem Kino – also: Ich habe sie dort kennengelernt. Clint Eastwood drehte 1995 das damals für ihn erstaunlich romantische Drama Die Brücken am Fluss mit ihm und Meryl Streep. Die Geschichte spielt in Iowa. Iowa liegt abseits meiner gedachten Route, ein Besuch an der Roseman Bridge in Winterset (die im Film eine Hauptrolle spielt) wird es wohl nicht geben. Die Brücke in Bath ist länger.
Kleine Kilometerstatistik: Ich starte in meine dritte Reisewoche, seit 30. September mit Auto. In den zwölf Tagen seit New York bin ich 1.669 Meilen (oder 2.686 Kilometer) gefahren.


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