
Ein strategischer Stopp in Syracuse
Entspannend an so einer Reise wie meiner ist der Umstand, dass nicht jeder Tag sitzen muss. Bei einer neunwöchigen Reise kann ruhig mal ein Tag dazwischen sein, dessen Verlauf für die Reise nötig ist, der aber sonst nicht viel Aufregendes zu bieten hat.
Ich habe heute die Neuengland-Staaten verlassen. Ich bin wieder in New York, in Syracuse, das liegt südöstlich des Ontariosees. 252 Meilen waren zu überbrücken, oder 405 Kilometer. Wie immer bin ich auf die kleinen Highways ausgewichen, die mittleren Landstraßen, die meist zweispurig durch die ganz kleinen Städte und durchs Hinterland führen, diesmal durch die Adirondack Mountains. Die gehören zum Gebirgszug der Appalachen, der sich bis nach Alabama im Süden zieht. Erwartungsgemäß war die Strecke landschaftlich berauschend schön. In meiner Musikbibliothek, die ich auf meinem Telefon dabei habe, fand ich eine Compilation, die anlässlich meiner USA-Reise 1989 entstanden war. Ich hörte Songs aus und über Amerika – von Surfin‘ USA über New York, New York bis Hotel California – während sich vor meiner Windschutzscheibe die ganze Pracht des Indian Summer entfaltete.
Es ging durch Wälder, entlang an – und mit der Fähre über – Seen und kaum hatte ich die Staatsgrenze von Vermont nach New York überfahren, schüttete es wie aus Kübeln und hörte den ganzen Tag nicht mehr auf. Kurz vor vier war ich in Syracuse.
Eine Industriestadt, heute noch 148.600 Einwohner, groß geworden mit der Salzgewinnung und im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Gegner der Sklaverei. Heute werden hier Chemikalien, Flugzeugmotoren und Metallwaren hergestellt. Lockheed Martin, der Rüstungskonzern, ist hier stark vertreten. Die Stadt kämpft mit industriellem Niedergang und hoher Arbeitslosigkeit. Im Frühjahr aber hat ein Chiphersteller angekündigt, gleich vier Fabriken aufzubauen im Gesamtwert von 100 Milliarden Dollar. Die Stadt kann’s gebrauchen. Rod Serling ist hier geboren, Erfinder, Produzent und Autor der fantastischen TV-Serie „Twilight Zone“, die Anfang der 1960er Jahre ihren ersten Höhepunkt hatte und 1983 sogar zu Kinoehren kam. Die bislang letzte TV-Episode wurde 2020 ausgestrahlt.
Ich bin nicht aus Sightseeing-Gründen hier. Syracuse ist strategisch gut gelegen auf meinem Weg zu den Niagara-Fällen. Von Waterbury heute Morgen gleich bis dorthin durchzufahren, wären nochmal 181 Meilen mehr gewesen – ich bin im Urlaub, nicht auf der Flucht. Gesehen habe ich in Syracuse nicht viel. Es hat geregnet – nach diesem Urlaub kann ich sagen „New York 2024: Es regnet!“ – und mein kleiner, das Wetter ignorierender Spaziergang durch Downtown mit den dunklen Fensterfronten machte deutlich: Hier sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht. Jedenfalls am Sonntag. Die meisten Restaurants, die ich ansteuerte, hatten zu, ich landete schließlich in einem Laden namens „Oh my Darling“; hohe, helle Wände mit Ziegelmauer-scheint-hinter-Löchern-im-Putz-hervor-Chic, das lokale Bier („Syracuse Pale Ale“) wird in Dosen serviert und der Barkeeper beherrscht augenscheinlich sein Handwerk.
Es wurde nicht spät. Mich erwarten nach diesem Von-A-nach-B-komm-Tag jetzt zwei abwechslungsreiche Tage: Früh aufstehen, 181 Meilen fahren nach Niagara Falls, dabei die Grenze nach Kanada überqueren, nachmittags einigermaßen wasserdicht eingepackt durch die Niagarafälle spazieren, an denen unter anderem Marilyn Monroe 1953 plante, ihren Mann zu ermorden – im Film Niagara – und am Dienstag bei Detroit wieder – und hoffentlich wieder ohne Probleme – in die USA zurückreisen.
Dort beginnt dann meine Reise im Gebiet um die Großen Seen.


3 Kommentare
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Markus
Lieber Christoph, mir geht es auch so, dass ich durch deine Blogs an deiner Reise teilhaben kann. Du hast eine Art, das so plastisch und nachvollziehbar zu schildern, dass man wirklich denkt, man säße neben dir im Auto, hörte 80er Musik aus den USA und bewunderte den Indian Summer. Ich beneide dich sehr um deine Reise und hoffe, dass wir auch weiterhin jeden Tag einen ordentlichen Blog bekommen. Es ist für dich zwar Urlaub, aber unser Vergnügen, jeden Tag einen Blog zu lesen, wollen wir uns keinesfalls nehmen lassen!
Reinhard Dörr
Lieber Christoph,
….vielen Dank für deine interessanten Textpassagen. Du schaffst damit die Möglichkeit, dass wir an deiner Reise schön teilhaben können.
Ich wünsche dir weiterhin möglichst viele nette und unvergessliche Momente.
LG,
Dein Schwager