Home again
Als ich heute Nachmittag die zweite Waschmaschine ausräumte, fiel mir ein, dass ich vor einer Woche vom Sonnenaufgang über dem Grand Canyon zurückkam und auf WhatsApp über die Frage stolperte, wann ich eigentlich zurück käme nach Mainz. Damals war es bei mir kurz nach neun am Morgen, in Deutschland also 17 Uhr und ich stellte fest, dass ich dann wohl in einer Woche schon meine erste Wäsche in der Mainzer Maschine hätte – anschließend überschattete eine leise Melancholie meine Wanderung am Rand des Canyon entlang.
Heute ging alles schneller, als erwartet, und um 17 Uhr war die zweite Wäsche durch, der Wäscheständer gefüllt, die Koffer im Keller und meine Wohnung sah aus, als sei ich nie weg gewesen – was ich nach Urlaubsreisen sehr angenehm finde, wenn nicht tagelang noch Wäsche- und Material-Reste abgearbeitet werden müssen, die unkreativ an einen gewesenen Urlaub erinnern. Ich schwelge lieber in Erinnerungen beendeter Urlaube, indem ich meine Fotosammlung bearbeite und mein Filmmaterial am Schneidetisch so montiere, dass daraus ein Film entsteht, den man zeigen kann.
Alltag in der Holzklasse
Nein, stimmt nicht. Nochmal zurück. Meine Wohnung sah nicht aus, als sei ich nie weg gewesen. Ich hatte am Flughafen in Los Angeles eben meinen letzten Blog-Eintrag fertig und abgeschickt, als wir mit einstündiger Verspätung zum Boarding aufgerufen wurden. Der Platz im Flugzeug war okay. Ich hatte Beinfreiheit, hatte dafür in den elf Stunden Flug regelmäßig Passagiere auf dem Weg zum Restroom auf meinen Füßen stehen, und einen übergewichtigen Sitznachbarn, der unfreiwillig einen Teil meines Sitzes beanspruchte. Aber das ist Holzklasse-Alltag, also kann ich sagen: Der Flug verlief ereignislos. Zwei Mahlzeiten, fünf auf mein Handy runtergeladene Zeitungsausgaben und schon gingen wir über in den Landeanflug in Frankfurt. Die Passkontrolle lief, als gäbe es sie gar nicht, mein Koffer kam früh aufs Band und einen neugierig guckenden Zollbeamten habe ich auch nicht gesehen. Die einzige Bremse war, dass mir die S8 nach Wiesbaden über Mainz buchstäblich vor der Nase weg fuhr – da gab es eine halbe Stunde Rumsitzen am S-Bahnhof. Das ist man als Mainzer aber gewöhnt. Die Anbindung meiner kleinen Hauptstadt an die Welt über das Nadelöhr FRA ist nur bedingt Hauptstadtmäßig.
Seit zwei Blogtexten bilde ich mir ein, ich müsste nun unmittelbar eine allumfassende Bilanz meiner Reise ziehen, in der ich festhalte, was das mit mir gemacht hat. Und dann eiere ich rum und lösche am Ende, was ich mir abgepresst habe.
Das herrliche 80er-Jahre Fernsehen der US-Networks
Aber ich weiß, was ich vermissen werde, seit ich heute deutsches Fernsehen geguckt habe. Der FDP-Generalsekretär ist zurückgetreten. Und ein paar andere Sachen sind passiert, die ich schon wieder vergessen habe. Ich werde das US-Fernsehen der großen Networks NBC, ABC, CBS und CNN vermissen, ich werde Stephanie Ruhle in ihrer „11th Hour“ bei MSNBC vermissen, die kenntnisreich, leidenschaftlich, sehr fleischlich und für ihren Job als Talkmasterin, Host und Dompteurin brennend, jeden Tag den politischen Tag analysiert – und schöne kleine Balletteinlagen mit ihrer schweren Brille vollführt. Ich werde Stephen Colbert, Jimmy Fallon und Seth Myers aus New York und Jimmy Kimmel aus Hollywood vermissen, die Late-Night-Talker, bei denen ich sprachlich nicht immer mitgekommen bin, die aber sehr mein Amerikagefühl personifizieren, das in den 80ern verankert ist – so wie das Konzept dieser Shows. Ich kann die natürlich in Mainz via Internet weiter gucken. Aber das ist genauso, wie der Wein, den man im Urlaub so gefeiert hat und der Zuhause schmeckt wie Bremsflüssigkeit.
Ich werde die NPR Radiostations vermissen, die mit ausführlichen Analysen und ausgesprochen unterschiedlichen Standpunkten über den Wahlsieger am 5. November meine teils sehr langen Fahrten durchs Land bereichert haben und jeden Samstag mit „Wait, Wait, don’t tell me“ die fröhlichste Nachrichtenquiz-Show (vor Live-Publikum) senden, die ich je gehört habe. Ich werde dieses Land mit seinen unendlichen Weiten und seiner Schönheit vermissen.
Heimkommen
In meiner Abwesenheit hatte eine Freundin aus meinem Ruderverein ab und an in meiner Wohnung nach dem Rechten geschaut, den Briefkasten geleert und, ob die Nachbarn einen Wasserschaden verursacht haben (sowas kann bei neunwöchiger Abwesenheit ja hässliche Folgen haben). Ich war vom Mainzer Bahnhof aus die 20 Minuten durch mein Wohnviertel, die Neustadt, spaziert, sah, dass alles noch stand, und als ich meine Wohnungstür aufschloss, umströmte mich wohlige Wärme. Bei nur noch sechs Grad Außentemperatur hatte die Ruderkameradin vorsorglich auch die Heizung angestellt. Auf dem Wohnzimmertisch begrüßte mich die – überschaubare – Post der vergangenen Wochen. Daneben ein lila Schokoladennikolaus und eine mit Tannengrün verzierte Adventskerze.
Ich war wieder daheim.