Noch 15 Tage bis zur Brooklyn Bridge
„In 15 Tagen ist es soweit: Ihre Reise beginnt.“ Das meldet mir gerade mein Reisebüro, mit dem zusammen ich mein Abenteuer geplant habe: Neun Wochen Roadtrip quer durch die USA von New York über New England mit Indian Summer über Niagara Falls nach Detroit, Great Lakes, Chicago, Milwaukee, Minneapolis, Mount Rushmore, Devil’s Tower, Montana, Colorado, Arizona, Nevada, Kalifornien – also … wenn mir nicht zwischendurch was Besseres ein-, bzw. auffällt; so ganz habe ich mich auch noch nicht von einem irrsinnig anmutenden Abstecher nach Dallas in meiner Reiseidee verabschiedet, und das nur, weil ich an den Ort will, an dem John F. Kennedy … nun ja, das war in den 90er Jahren für mich ein großes Thema – Dealey Plaza, Lee Harvey Oswald –, ist aber vielleicht auch ein wenig morbide.
Bis Chicago bin ich einigermaßen safe, habe vorsichtshalber das Reisebüro mal für mich planen lassen. Das umfasst die ersten drei Wochen. Aber danach ist die Reise sechs Wochen lang ganz Ich. Ich muss definieren, wo ich hin will. Ich muss Entscheidungen treffen – bin ich nicht so gewöhnt. Das einzig Fixe ist der Termin meines Rückflugs. Der steht.
Ich bin seit acht Jahren Privatier, das heißt: Ich folge keinem Dienstplan mehr, muss für meinen – natürlich auch für mich notwendigen – Lebensunterhalt nicht mehr arbeiten (ich hatte Glück in der Lotterie des Lebens). Und so verführerisch das klingt für alle, die dieses Privileg nicht haben, das führt zu zwei Hürden. Erstens: Touren, wie ich sie da gerade vorhabe, sollte ich eigentlich besser lassen. Mir fehlt einfach jede Erfahrung im Haus-verlassen. Wenn ich nichts brauche, bleibe ich daheim; ich brauche wenig, was ich nicht daheim bekomme. Und wenn ich doch mal raus muss, ist das nicht so mein Ding. Zweitens: Ich darf seit 2016 nicht mehr auf Verständnis für irgendeine meiner Außer-Haus-Ängste hoffen, alles, was ich beklage, wird mit einem spöttischen DutsDutsi-Kopfstreichler beantwortet. Wer könnte es den Kopfstreichlern verdenken.
Aber jetzt, noch „15 Tage“, wird mir zunehmend bewusst: Das ist real. Noch fahre ich mit dem Finger über Google Maps. Aber bald werde ich in einem realen Auto sitzen, dessen moderne Technik ich, der vor kurzem sein 15 Jahre altes Auto verkauft hat, erst mal antizipieren muss, um dann jeden dieser Google-Finger in realen Kilometern … nein: Meilen nachfahren zu müssen; oder zu dürfen. Am ersten Nachmittag würde ich gerne rüber nach Brooklyn. Aber lässt mich die Grenzbehörde am DschäiÄfKäi diesmal einfach durch? Bei den beiden vorherigen Malen hat sie mich stundenlang festgehalten.
Nach New York werde ich dann die schlichte Idee, „in ein Motel einchecken“ abgleichen müssen mit der Wirklichkeit des Erst-einmal-ein-Motel-finden. Wahrscheinlich schlafe ich deshalb seit einigen Nächten nicht gut. Die „Schlaf“-App auf meinem iPhone sagt mir das jeden Morgen. Ich bin gefragt worden, ob ich Anhalter mitnehmen werde unterwegs. Da habe ich gelacht. Ich bin ja durch maßlosen Kinokonsum erst für die USA sozialisiert worden. Und da habe ich auch viele Filme gesehen, in denen der Anhalter-Mitnehmer in abseitige Albträume gerät. Also: Nein, Anhalter werde ich wahrscheinlich nicht mitnehmen auf meinen vielen zigtausend Meilen, die ich fahren werde von Ost nach West, Nord nach Süd, während eine möglicherweise die Welt erschütternde US-Wahl stattfinden wird.
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