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Eine Lanze für den Strand
Ich wache wieder in meinem eigenem Bett auf. Und mein erster Gedanke meines noch sehr im Urlaub hängenden Gemüts – ich finde es immer noch erstaunlich, dass es die Technik ermöglicht, schon Monate im Voraus präzise zu sagen, wie lange ich an einem bestimmten Tag für die Strecke von Tel Aviv nach Mainz brauchen werde und die Voraussage dann auch so eintrifft; aber für mein Gemüt, meine Seele waren diese sechs Stunden, 20 Minuten von dort nach hier eindeutig zu schnell – also mein erster Gedanke meines noch sehr im Urlaub hängenden Gemüts ist „Jetzt wär‘ ich gerne am Strand!“ Das finde ich doch einigermaßen erstaunlich. Da war ich zwei…
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good price
„I live in a fucked up Country“ begründet Eyad, dass er mich über den Tisch ziehen will; „It‘s a fucked up life“. Unversehens stecke ich wieder in einer dieser Situationen, die mich in den All-inclusive-Urlaub treiben können. Warum soll es eigentlich charmant sein, bei jeder Avocado über den Preis zu feilschen? Ich komme aus Köln Klettenberg, da stand schon, als ich noch Kind war, an dem blau-gelb-grünen Pollunder in der Kaufhalle 17 Mark 50; und die hat meine Mutter dann bezahlt. Ich bin in einem System groß geworden, in dem der Händler einen Preis bestimmt und ich dann sagen kann „Au ja“ oder „Och nö“. Sagen zu viele Kunden „Och…
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Geisterstadt
Und wenn dann plötzlich Motorengeräusch zu hören ist. Wenn die Telavivians, die eben noch in den Sonnenuntergang am Strand vertieft waren, sich unterhalten haben, beim Beachball neue Kontakte geknüpft haben, sich plötzlich, Zombie-gleich gen Küstenstraße wenden, wo flackerndes Neon vom Neustart des Restaurants, des Imbiss, des Supermarktes kündet – dann ist Jom Kippur vorbei. 28 Stunden Stillstand räkeln sich, dehnen sich. 28 Stunden, in denen einfach Ruhe herrschte. Ja, wer akut lebensgefährdet ist, wird behandelt. Wer in Not ist, hat in der Polizei seinen Ansprechpartner. Und drückte irgendein Araber auf einen Roten Knopf, wäre Benjamin Netanjahu in der Lage, den Verteidigungsfall auszurufen. Darüber hinaus herrscht Stille. Tel Aviv mit seinen…
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Menschlich. … Menschlich?
Die Feiertage sind vorbei. Endlich habe ich ein Auto. Ich fahre nach Jerusalem. Nach Yad Vashem. Klar. Pflichtbesuch. Bin ich erschüttert? Beeindruckt! Aufbau, Architektur, Begleitung – das ist mehr als die Halle der Namen, die im Fernsehen immer auftaucht, wenn ein deutscher Politiker Israel besucht. Als Deutscher … ich glaube, das kann ich … kann ich? … naja, pflichtschuldigst festhalten: Vieles – Machtergreifung Hitler, Reichspogromnacht, Juden in die Lager – Vieles von dem, was mein Audioguide erzählt, kann ich mitsprechen. Aber nicht die vielen Einzelheiten. Die allein sind aber nur gut für eine Geschichtsstunde. Interessant ist, dass mir der Besuch zeigt, dass die Nationen …, die Gesellschaft …, wir …,…
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Die Idylle macht krank
Ja, ich kann das Wort auch nicht mehr hören: Idylle. Wir Journalisten, die wir als Berufskrankheit den Zynismus mit uns herumschleppen, empfinden Idylle als NonPlusUltra des Unerreichbaren. Deshalb setzen wir sie so gerne als Kontrastmittel ein, als größtmögliche Fallhöhe – „Boah diese Idylle, wie schön“, „Boah diese Spitzenpolitiker, guck, wie die diese Idylle zerstören“ – wenn wir sonst schon nicht wissen, was die Politiker eigentlich hier wollen und, schlimmer, was wir eigentlich dauernd über sie berichten sollen. Also berichten wir über die Idylle, aktuell die Idylle von Krün. Und ich mittendrin … oh, es ist nicht so, dass ich gegen diesen Virus der idyllischen Fallhöhe gefeit wäre – ich rede…
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Servus, Wöid
G7-Gipfel. Die Mächtigen der Welt treffen sich. Und sorgen zunächst einmal für Staus auf den Autobahnen, in denen Menschen stehen, die ganz andere Probleme haben, als das, die Erderwärmung auf 2 Grad in soundsoviel Jahren begrenzen zu wollen; die Leute im Stau wollen in ihren Brückentags-Urlaub, haben häufig quengelnde Gören im Fonds sitzen, die seit Wochen nicht in der Kita betreut werden können, draußen hat‘s 30 Grad, aber hier staut‘s, weil in ein paar Tagen der Obama und die Merkel und die anderen, deren Namen einem immer nicht einfallen, auf einem Schloss bei Garmisch Partenkirchen miteinander reden wollen – und sind wir ehrlich: Von diesem Elmau haben wir bis vor…
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Ein Minister kotzt sich aus
Na, da hat sich ja mal einer aus dem Fenster gehängt. Frank-Walter Steinmeier, Deutschlands oberster Diplomat, hat sich mal ausgekotzt und ein paar „Frieden, Frieden! Ihr Kriegstreiber!“ krakeelende Demonstranten nieder gebrüllt. 500.000 Klicks bei Youtube. Oder schon 700.000? Egal, auf jeden Fall etwa 1.000 mal so viele, wie sonstige Steinmeier-Videos so erreichen. Kalkül? Echter Zorn? Wer weiß das schon? Schließlich ist Wahlkampf und das linker-Zeigefinger-rechter-Zeigefinger-Gefuchtel bei rauer Brüllstimme kennen wir von seinen Auftritten. Aber nicht so scharf. In unserer auf Konsens gebügelten Gesellschaft geht das schnell nach hinten los. Konflikte werden klein gehalten, die Kritiker stigmatisiert. Nicht das Kritisierte ist möglicherweise mit Mängeln behaftet, sondern der, der die Mängel ausspricht.…
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Leben zwischen Arschlöchern und Jedi-Rittern
Das waren zwei Scheiß-Tage. Warum musste ich mich auch auf diese Diskussion einlassen? Über Kino, Kulturförderung und wer die bezahlen sollte. Noch dazu auf facebook? Mit einem Kulturfaschisten, der Kinobetreiber, die mit Filmen wie White House Down hoffen, Geld zu verdienen, mit hohen (Kulturförder)Abgaben bestrafen will; der Menschen, die solche Filme gerne gucken – „na ja, überspitzt ausgedrückt“ – ins Umerziehungslager stecken will; der „Missstände anprangert, aber keine Lösungsansätze“ bietet? Ich Depp! Ich sollte es einfach lassen, oder – wie mein 22 Jahre jüngerer Kollege F. es formuliert – nicht über jedes Stöckchen springen, das mir einer hin hält. Naja, jedenfalls hat das meiner ohnehin in diesen Tagen nicht ausgeprägt…